Scheibel Alte Zeit Apricot Brandy und der Self-Starter Cocktail

Gut Ding will Weile haben! So heißt es im Allgemeinen – und tatsächlich könnte das der Sinnspruch meines heutigen Artikels sein. Denn nach einigen Jahren des Blogbetriebs habe ich bis heute noch nicht über einen Klassiker der Barzutaten geschrieben: den Apricot Brandy. Warum ist aber gerade ein Apricot Brandy ein Klassiker hinter der Bar und was ist das eigentlich genau? Diesen Fragen und einigen anderen möchte ich heute auf den Grund gehen. Und dabei natürlich auch einen Apricot Brandy hier vorstellen, den ich guten Gewissens als meinen bisherigen Favoriten bezeichnen kann. (zugesandtes Testprodukt)*

Apricot Brandy ist, ich habe es bereits erwähnt, eine klassische Zutat hinter der Bar. Und mit „klassisch“ meine ich hier wirklich klassisch, denn er taucht bereits im 19. und frühen 20. Jahrhundert regelmäßig in Barbüchern auf, zu einer Zeit also, als man beispielsweise nach Wodka in solchen Kompendien lange suchen musste. Die Spirituose war also bereits zu jener Zeit gut verfügbar und erfreute sich einer großen Beliebtheit. Das Problem ist hier allerdings das Gleiche, das sich häufig beim Studium alter Barbücher stellt: es ist nicht immer genau klar, was damit eigentlich so richtig gemeint ist. Denn der Begriff „Brandy“ ist im Amerikanischen Sprachgebrauch bis heute nicht klar umrissen: Im Zusammenhang mit Früchten wird damit meist ein Obstbrand bzw. Geist oder eben Eau de Vie bezeichnet (letzteres ist die „internationalere“ Kategorie, da nicht überall zwischen Bränden und Geisten namentlich unterschieden wird). Es ist also eine klare, i.d.R. ungesüßte Spirituose gemeint. Der Brandy selbst bezeichnet eben einen Weinbrand bzw. häufig sogar spezifisch französischen Cognac (der ja nunmal auch ein Weinbrand ist). Dass es nun auch noch den spanischen Brandy de Jerez gibt, macht alles noch komplizierter, aber immerhin taucht dieser nicht in den Rezeptbüchern rund um die Jahrhundertwende auf.

Was aber ist nun Apricot Brandy? Nun, es ist eben nicht immer ganz klar, denn z.T. (in Abhängigkeit vom Rezept) macht es durchaus Sinn, ihn als Apricot Eau-de-Vie zu interpretieren. Gemeinhin wird allerdings ein Aprikosenlikör unter diesem Namen verwendet und von diversen Herstellern angeboten. Diese Liköre weisen meist eine Farbe irgendwo zwischen knalligem Orange, Bernstein und dunklem Weinbrand auf und sind auch geschmacklich mitunter sehr weit voneinander entfernt. Klar, gemein ist allen ein irgendwie gearteter Aprikosengeschmack, doch in diesem Feld ist längst nicht alles so einfach, wie es klingt. Denn wer die geschmacklichen Nuancen einmal bezeugen konnte, die zwischen einem eher aprikosenkernlastigen und einem fruchtigen, aprikosenfruchtfleischlastigen Apricot Brandy liegen, der wird zumindest einen Ansatz haben, zu erkennen, wie vielschichtig die Unterschiede beim Apricot Brandy sein können; und das sind längst nicht alle Unterschiede.

Nun will ich aber endlich auf die Flasche eingehen, die ich vor diesem Hintergrund hier heute behandeln möchte. Denn es geht um den Scheibel Alte Zeit Apricot Brandy. Über die Brennerei Scheibel habe ich bereits in der Vergangenheit einige Zeilen geschrieben, so dass ich an dieser Stelle und zu diesem Zweck auch auf den betreffenden Artikel verweisen möchte.

Der Scheibel Alte Zeit Apricot Brandy spielt natürlich schon durch seinen Namen auf eine traditionelle, althergebrachte Zubereitungsweise an – tatsächlich wird einmal mehr ein altes Familienrezept als Grundlage angeführt. Dass hier aber natürlich auch eine gehörige Portion Marketing mit im Spiel ist, sollte jedem klar sein. Dennoch kann sich definitiv sehen lassen, was in dieser Flasche steckt: Die Basis bilden Aprikosen aus der Steiermark, aus denen nach einer langsamen Kühlgärung ein Aprikosenbrand über Holzfeuer hergestellt wird. Dieser wird dann noch mit Neutralalkohol, Brandy, Cognac, jamaikanischem Rum, Zwetschgenwasser, Himbeergeist und etwas Vanille abgerundet. Das klingt doch nun wirklich vielversprechend (vielleicht auch etwas überraschend, wenn man eigentlich nur mit Aprikosen gerechnet hatte). Mit stolzen 35% vol. (für einen Apricot Brandy keine Selbstverständlichkeit) kommt der Scheibel Alte Zeit Apricot Brandy dann in die Flasche. Mit einem Preis um die 60 Euro ist das hier sicherlich kein Anwärter auf den Titel des günstigsten Apricot Brandies, aber natürlich andererseits auch ein Ausdruck qualitativen Selbstbewusstseins.

Apropos Flasche: die kann sich hier ohne jeden Zweifel sehen lassen! Eine schwere, eckige Flaconflasche bringt die dunkle Bernsteinfarbe des Apricot Brandys dank des nicht zu raumeinnehmenden Etiketts perfekt zur Geltung. Klar, filigran wirkt sie nicht, wirklich bescheiden auch nicht, aber sie ist eben ein echter Hingucker!

Tasting Notes:

Aroma: Wow, das hier ist definitiv kein Vergleich zu vielen gängigen, preislich auch etwas niedriger angesiedelten Apricot Brandies. Das Aroma ist sehr voluminös und vielschichtig, ist aber zweifelsohne von intensiven Aprikosenkernen geprägt. Wer nun eher einen Apricot Brandy bevorzugt, der klar in Richtung Aprikosenfruchtfleisch ohne Einschlag der typischen, leicht an Marzipan erinnernden Kerne geht, für den ist der Scheibel Apricot Brandy vielleicht nicht ideal. Da ich ihn aber vor allem im Vergleich zum Gros der am Markt erhältlichen Apricot Brandies verkoste, die fast alle klare Kernaromen aufweisen, ist das hier vermutlich nur in Ausnahmefällen eine Einschränkung. Dunkle und süßliche Töne von Weinbrand, ein Hauch dunkle Pflaumen, Himbeeren (vom enthaltenen Himbeergeist) und auch Vanille sind Teil des Gesamtbildes. Bei all der Wucht und gekonnten Schwere, finden aber auch fruchtige, frische und eben auch an Aprikosenfruchtfleisch, Zitrusfrüchte und den verwandten Pfirsich erinnernde Noten einen Platz im Aromenspektrum. Assoziationen von Kräutern blitzen im Hintergrund auf. Hier ist wirklich eine Menge im Glas und es macht Spaß, lange daran zu riechen.

Geschmack: Zweifelsohne handelt es sich hier um einen Likör, denn er bringt schon eine ausgeprägte und schwere Süße mit, die sich langsam, fast wie ein sehr flüssiger Honig, auf die Zunge legt. Überhaupt: wer nun nach meinen Eingangsworten einen Likör in der Nähe eines Amarettos mit krassen Marzipannoten befürchtet, den kann ich beruhigen: Die Aprikosenkerne sind im Geschmacksbild klar zugegen, ja, mitnichten fallen sie aber zu dominant aus und die Marzipankeule bleibt aus. Als jemand, der Marzipan nicht gerne mag, bin ich da auch keine schlechte Referenz. Neben (Honig)Süße, Aprikosenkernen und –fruchtfleisch sind auch hier wieder eine sanfte Vanille, Assoziationen von Pflaumen und das frisch-säuerliche Momentum von Himbeeren zugegen, bleiben aber klar hinter dem Aprikosenparadigma zurück und überlassen eben diesem die Bühne. Kräuternoten sind kaum wahrnehmbar und bleiben lediglich ein Gruß aus der Ideenwelt; Minimaler Pfirsich, Süßkirschen und ein Anflug von Nüssen kristallisieren sich mit der Zeit heraus.

Abgang: lang, süß, ölig und mit einer fein-würzigen Aprikosenkernnote

Cocktails, die nach Apricot Brandy verlangen, finden sich – auch das hatte ich eingangs erwähnt – durchaus so einige, insbesondere eben in den besagten, älteren Barbüchern aus der Prohibitionszeit und Prä-Prohibitionszeit wird man hier schnell fündig. Tatsächlich weisen viele Drinks aus jener Zeit große Ähnlichkeit untereinander auf und man findet z.B. im Bereich der Wermutcocktails teilweise sich nur in Nuancen unterscheidende Rezepturen, die man heute oft eher als Varianten oder Twists bestimmter Cocktails (z.B. des berühmten Martini) begreifen und eher nicht mit einem eigenen Namen versehen würde. Andererseits findet das Gleiche heutzutage oft mit Sour-Cocktails statt, die sich oft nur hinsichtlich des verwendeten Sirups unterscheiden oder ab und an mal eine alternative Säurequelle anführen.

Wie dem auch sei, der Drink, an den ich mich heute gewagt habe, ist der sog. Self-Starter Cocktail aus Harry Craddock’s berühmtem Savoy Cocktail Book. In Mr. Craddocks Originalrezeptur wird nach einem halben Teil Dry Gin, drei Achteln Kina Lillet und einem Achtel Apricot Brand bei zwei Dashes Absinth verlangt. Daran habe ich mich zwar lose orientiert, habe aber bewusst den Anteil an Apricot Brandy nicht zu gering ausfallen lassen. Mein Ansatz ist im Grunde ein Paradebeispiel dafür, wie weit die Interpretationen alter Cocktailrezepte auseinandergehen können und dies auch manchmal tun. Denn natürlich lässt sich ein solcher Cocktail bewusst trocken und eben sehr Martini’esk umsetzen (was auch die meisten Rezipienten tun) – und das hat auch Klasse und weiß auch mich zu überzeugen. Manch einer versteht den Apricot Brandy im Self-Starter Cocktail tatsächlich auch als Aprikosenbrand, was diese Tendenz natürlich noch weiter verstärkt. Hat man aber keine Angst vor etwas mehr Süße, dann bekommt man ebenfalls einen sehr eleganten Drink, der auch prima als Digestif in Frage kommt (als bekennender Fan von trockenen und bitteren Cocktails erwäge ich sowas auch nicht unbedingt jeden Tag). Und tatsächlich wollte ich diesmal keinen Quasi-Martini, sondern habe bewusst auf das tolle Zusammenspiel von frischen, süß-fruchtigen, trockenen, würzigen und auch bitteren Aromen in der unten im Rezept aufgeführten Form gesetzt. Der Scheibel Alte Zeit Apricot Brandy stellt neben Dry Gin und Cocchi Americano (als Kina Lillet-Entsprechung) hier zwar den kleinsten Anteil unter den Zutaten (vom Absinth einmal abgesehen), kommt so aber doch auch in seiner besonderen Charakteristik zur Geltung und trägt so mit seiner aromatischen Süße auch im Wesentlichen dazu bei, dass diese Variante des Self-Starter Cocktail eben auch sehr eigenständig daherkommt und nicht lediglich zu einem „Martini mit einem Schuss Aprikose“ wird.

Rezept „Self-Starter Cocktail“ (leicht veränderte Digestif-Version, angelehnt an Harry Craddock, 1930):

5,5 cl Dry Gin
2,5 cl Cocchi Americano (alternativ Lillet Blanc)
1,5 cl Scheibel Alte Zeit Apricot Brandy

Absinth

Zubereitung: Zunächst das vorgekühlte Glas mit Absinth „auswaschen“. Einfach einen Schuss Absinth ins Glas geben und kurz schwenken, so dass die Innenfläche mit Absinth benetzt ist. Überschüssigen Absinth weggießen. Dann Dry Gin, Cocchi und Scheibel Apricot Brandy in einem Rührglas auf Eis kalt rühren und ins mit Absinth ausgewaschene Glas abseihen. Mit dem Öl einer Orangenzeste besprühen.

Glas: Coupette / Cocktail

Garnitur: Orangenzeste

Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online

*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.

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