In der deutschsprachigen Cocktail- und Barszene (wie auch in jeder anderen) gibt es natürlich immer wieder verschiedene Trends. Diese können unterschiedlichste Ursachen haben, sind aber oftmals auch mehr oder weniger gezielt angestoßen worden. Jemand, der solche Anstöße sehr gut beherrscht, ist Joerg Meyer, was nicht zuletzt an seiner stilsicheren Social Media-Präsenz liegt. Aber es gibt natürlich auch ganz schlichte „hard facts“, die das Geheimnis hinter so manchem Meyer’schen Trend sind. (zugesandtes Testprodukt)*
Und mit diesen „hard facts“ meine ich schlicht nichts Anderes als hohe Qualität. Über einen Gin Basil Smash müssen wir erst gar nicht reden – und wenn ich an mein Tasting-Erlebnis beim Vestal Vodka denke, gerate ich noch heute ins Schwärmen. Ebenso ist der Hepple Gin nicht weniger als einer meiner persönlichen Martini-Favoriten geworden. All das spricht eindeutig für ein wirklich außerordentlich gutes Gespür des Herrn Meyer. Als dieser mich aber kontaktierte und von der heute hier im Mittelpunkt stehenden Flasche berichtete, war ich doch zunächst sehr skeptisch. Denn der Whitley Neill Rhubarb & Ginger Gin ist im Grunde genommen auf dem Papier alles anderes als das, was ich mir unter einem guten Gin vorstelle. Wacholder dürfte nur eine klare Nebenrolle spielen und überhaupt hat man es hier wohl mit einem Paradebeispiel für die strittige Frage zu tun, wie weit man die Grenze dessen, was noch ein Gin ist, eigentlich ausdehnen kann.
Nun muss man dazu sagen, dass Joerg Meyer den Whitley Neill Rhubarb & Ginger Gin nicht mit seinem Vertrieb Tender Spirits importiert, sehr wohl aber auf diesen Gin aufmerksam wurde, da dieser in den vergangenen zwei Jahren im Vereinigten Königreich der erfolgreichste Gin in seiner Preisklasse war. Auch hat er mir gegenüber keinesfalls den Anschein erwecken wollen, hier ein Produkt, welches in qualitativer Hinsicht mit einem Hepple Gin oder einem Vestal Vodka vergleichbar ist, „promoten“ zu wollen. Es ist wohl einfach ein Stück weit eigene Neugier, aber auch Anerkennung über den Erfolg des Gins gewesen.
Hergestellt wird dieser Gin auf Weizen-Basis (wie auch der reguläre Whitley Neil London Dry Gin). Allerdings wird hier, anders als beim klassischen Whitley Neill, auf zwei Botanicals verzichtet: „Baobab“ und „Cape Gooseberry“ (Physalis) landen nicht im Whitley Neill Rhubarb & Ginger Gin. Damit bleiben also folglich noch Wachholder, Koriander, Angelika, Kassiarinde, Zitronenschalen, Orangenschalen und Schwertlilienwurzeln übrig. Da stellt sich dann natürlich die Frage, woher nun also „Rhubarb“ und „Ginger“ kommen sollen.
Die Antwort liegt in der speziellen Herstellungsweise. Zunächst wird in einer sogenannten Shot Destillation eine konzentrierte Gin-Essenz hergestellt und diese dann noch mit einem geringen Anteil Kartoffelbrand verschnitten – nach Herstellerangaben soll so ein weicheres Mundgefühl erzielt werden. Dann wird separat Rhabarber mit Weizenneutralalkohol destilliert und ebenfalls mit dem Gin vermählt. Schließlich wird ein 6 Wochen altes Ingwermazerat hergestellt und final zugegeben. Zucker landet dann (ich muss mir hier ein „zu allem Überfluss“ verkneifen) auch noch im Gin, genau wie etwas Rhabarber-Essenz und Zitronensäure. Schließlich wird er mit einer Trinkstärke von 43%. abgefüllt. Joa, von einem London Dry für Puristen ist das hier also wahrlich meilenweit entfernt. Sei es drum, offenbar scheint der „Flavoured Gin“ (eine gewagte Kategorie) einem sehr breiten Publikum zu gefallen. Ich bin also gespannt.
Tasting Notes:
Aroma: Ok, das hier hat definitiv nicht mehr viel (bis gar nichts) mit einem klassischen Gin zu tun. Ich rieche zunächst (künstlich wirkende) Beerennoten, die mich an Brausepulver denken lassen. Inwieweit ich hier Rhabarber isolieren kann, ist eine Frage, die ich wohl nur hätte richtig beantworten können, wenn ich die Verkostung blind und unwissend angegangen wäre. Unter den gegebenen Umständen finde ich aber auch Rhabarber, ja – welcher sogar mit der Zeit immer klarer wird. Auch Ingwer ist zugegen, dennoch finde ich auch Erd- und Himbeeren, süße Sahnebonbons, tatsächlich auch leicht kräutrige Noten, falle aber mit der Zeit immer wieder auf eine Tüte Ahoi-Brause zurück. Zitrusschalen (Zitrone, Orange) und eine Nuance grüner Apfel. Wacholder finde ich tatsächlich im Grunde nur mit Fantasie.
Geschmack: Am Gaumen ist der Whitley Neill Rhubarb & Ginger Gin eher Gin-Likör als Gin, zumindest kommt es mir so vor. Er ist überaus süß, was mit der Zeit auch nicht weniger wird, eher penetranter. Auch hier finde ich wieder Beeren, v.a. Erdbeeren (ja, ich weiß, dass Erdbeeren botanisch eigentlich keine Beeren sind) und erneut Sahnebonbons. Rhabarber ist da, auch Ingwer, gerade letzterer enttäuscht mich aber etwas hinsichtlich der typisch frisch-scharfen Note, die ich erwartet habe. Ob der Süße sind es eher Ingwerbonbons, die hier durchscheinen. Zitronenschalen, Koriander und auch Orange ist zugegen; auch Wacholder, ja, aber sehr dezent.
Abgang: der Abgang gefällt mir hier definitiv am ehesten. Ingwer und Gewürze dominieren (und halten sogar erfreulich lange an), wohingegen die Süße endlich etwas in den Hintergrund tritt und sogar etwas Wacholder hindurchlässt.
Tja, was soll ich hierzu sagen? Meins ist dieser Flavoured Gin definitiv nicht. So gar nicht. Ich glaube aber sofort, dass man es hier mit einem Verkaufsschlager zu tun hat, denn er ist nicht kompliziert zu trinken, weist kaum alkoholische Schärfe auf und ist mit seiner Süße und den Beeren- und Rhabarbernoten fraglos massenkonform. Das spricht vielleicht nicht wirklich für die Massen, aber auch wenn ich hier keine elitaristischen Gedanken hege, so komme ich heute nicht umhin, kein positives Fazit zu ziehen. Ich will aber so schnell nicht aufgeben. Denn es wäre nicht der erste Gin, den ich nicht für den Purgenuss empfehlen würde. Vielleicht liegt ja also ungeahntes Potenzial in diesem Gin als Cocktailzutat. Und hier setze ich voll auf eine Art spritzigen Highball, der die Aromen des Whitley Neill Rhubarb & Ginger Gin abzuholen versucht. Neben dem Gin finden etwas Ruby Port, ein Hauch Himbeergeist und Luxardo Bitter als Konterpunkt zur Süße von Gin und Port ihren Weg in den Drink. Zudem verleiht der italienische Bitterlikör eine Tiefe, die hier auf jeden Fall noch fehlte. Diese entfernt an eine Negroni-Highballversion angelehnte Kreation habe ich „Red Right Hand“ genannt – nach einem inzwischen sehr populär gewordenen Song einer meiner Lieblingsbands.
Rezept „Red Right Hand“:
3,5 cl Whitley Neill Rhubarb & Ginger Gin
2 cl Luxardo Bitter
1,5 cl Ruby Port
2 Barlöffel Himbeergeist
Sodawasser
Zubereitung: Zunächst alle Zutaten bis auf das Sodawasser in ein mit Eis gefülltes Glas geben und kurz verrühren. Schließlich mit Sodawasser aufgießen.
Glas: Highball
Garnitur: Griottineskirschen
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.