Ja, heute geht es tatsächlich einmal mehr um Wodka. Das mag vielleicht manchen Leser meines Blogs verwundern, denn in der Vergangenheit habe ich mich zwar (mit größeren Abständen) verschiedenen Wodkas zugewandt bzw. hier eine Rezension unternommen, doch trotz teilweise durchaus positiven Überraschungen im Geschmacksprofil blieb mein Gesamteindruck doch eher verhalten. Klar: es gibt qualitative Unterschiede, diese sind aber meistens so subtil, dass sie nur derjenige herausfinden dürfte, der hochkonzentriert selbst auf flüchtigste Nuancen achtet. Und hier ist natürlich die kritische Frage gestattet: wer macht so etwas im „Alltag“? Genau, so gut wie niemand. (zugesandtes Testprodukt)*
Das häufig anzutreffende Urteil, bei Wodka handele es sich um eine weitestgehend geschmacksneutrale Spirituose, die in erster Linie zum Mixen gedacht ist, konnte ich entsprechend auch nie so wirklich widerlegen (wohlgemerkt meine ich hier auch die Art des „Mixens“, bei der alkoholische Wirkung im Vordergrund steht, nicht so sehr der Geschmack der Spirituose).
Und jetzt komme ich schon wieder mit einer Wodkarezension um die Ecke. Warum das? Sollte ich nicht meine Lektion gelernt haben? Oder bin ich einfach ein Hoffnungsromantiker, der induktive Schlussfolgerungen ablehnt?
Im Endeffekt ist Joerg Meyer schuld daran, dass ich dem Wodka noch eine Chance gebe. Wer den Gründer des Hamburger Le Lions und anderer Bars kennt, der wird auch seine rege Aktivität in den sozialen Netzwerken wissen. Und genau dort führte zuletzt kaum noch ein Weg am Vestal Vodka vorbei, um den es hier heute gehen soll. Da ich Herrn Meyer allerdings auch immer als Wodkaskeptiker kannte und nun auf einmal aus seinem Munde großes Lob für Wodka und Wodka Cocktails im Zusammenhang mit der polnischen Marke Vestal zu vernehmen war, musste irgendetwas vorgefallen sein. Für plumpen Vermarktungsopportunismus ist Joerg Meyer eigentlich auch nicht bekannt, weshalb ich kurzerhand sehr gespannt war, als mir zwei Besprechungsexemplare der Vestal Vodka-Reihe in Aussicht gestellt wurden. Und genau diese beiden Besprechungsexemplare bzw. Testprodukte möchte ich heute rezensieren und herausfinden, ob sie tatsächlich die Sache mit dem Wodka noch einmal neu erfinden.
Wirft man einen Blick auf die Marke, so erfährt man recht schnell, dass William Borrell, der Kopf hinter Vestal Vodka, im Jahr 2010 beschloss, Wodka nicht neu zu erfinden, sondern im Grunde wieder zurück zu einem historischen Wodka zu kehren. So ist es elementarer Teil des Narrativs der Marke Vestal, zu erklären, dass Wodka in früheren Zeiten weit weg war von der geschmacklosen, zig-fach gefilterten Spirituose, die er heute ist. Dabei beruft Borrell sich auf die Kartoffeltradition des slawischen Wodkas (entgegen der landläufigen Meinung, muss Wodka keinesfalls aus Kartoffeln hergestellt werden, sondern basiert meistens auf Weizen).
Für Vestal Wodka werden gezielt junge und aromatische Kartoffeln geerntet und verarbeitet. Mehrfachdestillation, Filterung mit teilweise absurden Methoden (Diamant, Ozon oder was weiß ich nicht alles) – das alles gehört nicht zum Selbtverständnis von Vestal. Stattdessen fühlt man sich eher dem Terroir-Gedanken verbunden, wie man ihn aus dem Weinbereich kennt (oder wahlweise auch aus dem Rum-Bereich). Neben einem Blended Potato Vodka (welcher hier heute auch rezensiert wird, s.u.) gehören zwei gänzlich ungefilterte Jahrgangsabfüllungen (mit in Abhängigkeit vom Jahrgang wechselnden Aromenprofilen) und ein gereifter Wodka zum Portfolio. Als zweite Flasche werde ich heute den Vestal Appellation Pomorze aus dem Jahr 2014 behandeln, welcher neben dem Appellation Kaszëbë zu den beiden ungefilterten Jahrgangsabfüllungen gehört.
Der auch vom Hersteller noch am ehesten in die Reihe klassischer, zeitgenössischer Wodkas gestellte Vestal Blended Potato Vodka ist quasi der Wodka aus der Vestalreihe, welcher für den „Masseneinsatz“ bestimmt ist. Es handelt sich dabei um einen Verschnitt aus Wodkas basierend auf den Kartoffelsorten Innovator, Asterix und Russet Burbank. Dieser Wodka wurde auch gefiltert, allerdings nur einmal und mit dem Hintergedanken, nicht sämtlichen Geschmack aus dem Destillat zu ziehen. Ob das auch tatsächlich der Fall ist, werde ich gleich auflösen. Empfohlen wird jedenfalls die Verwendung in einem Vodka Martini. Als Freund des Martinis kommt mir Wodka normalerweise nicht in den Drink, heute mache ich aber einmal mehr eine Ausnahme. Geschüttelt, eiskalt und ganz so, wie ihn der Vodka Martini-Trinker haben will. Achja: abgefüllt wird der Vestal Blended Potato Vodka mit branchenüblichen 40% vol.
Tasting Notes „Vestal Blended Potato Vodka“:
Aroma: Zwei Dinge schießen mir sofort durch den Kopf: 1. Es ist unzweifelhaft ein Wodka hier in meinem Glas, denn der Ersteindruck ist subtil, überaus mild und im Vergleich zu den allermeisten Spirituosenkategorien eher ausdrucksschwach. 2. Es handelt sich fraglos um einen sehr angenehmen und gelungenen Wodka, wenn man sich auf die Gattung einlässt. Letzteres will ich etwas ausführen: hier sind sehr subtile, aber gelungene, florale Noten auszumachen, dahinter irgendetwas zwischen Milch mit Honig und in Milch eingeweichten Cornflakes (tatsächlich war das mein erster Gedanke). Eine gewisse Fruchtnote kann ich ebenfalls finden, die mich am ehesten an Äpfel denken lässt.
Geschmack: Nach wie vor ein Wodka: mild, weich, aber nicht völlig geschmacksarm. Tatsächlich finde ich gut eingebundene, in sich zwar sehr subtile, aber doch ansprechende Noten von Milchdesserts mit einer Nuance weißer Schokolade, grünen Äpfeln, etwas Minze und einer feinen Süße.
Abgang: mittellang mit weißer Schokolade und Milch
Ok, der Vestal Blended Potato Vodka ist ein Gewinn im Wodkasegment, keine Frage. Aber ich muss gestehen, so ganz aus den Schuhen, dass ich ab heute zum passionierten Wodkaapologeten werden würde, haut er mich noch nicht. Also muss die Probe aufs Exempel im Wodka Martini folgen. Und tatsächlich: Mir gefällt das Ergebnis! Knackig erfrischend und mit einer gewissen Würze. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Der Vestal Blended Potato Vodka ist ein Gewinn. Trotzdem: bis hierhin kommt mir der „Hype“ aus den sozialen Netzwerken noch etwas merkwürdig vor. Vielleicht ändert sich das ja mit dem Vestal Appellation Pomorze.
Tasting Notes „Vestal Appellation Pomorze“:
Aroma: Wow – und das ist sicher kein Wort, mit dem ich eine Wodkaverkostung oft beginne – was ist denn das? Ich gebe zu: blind hätte ich im Leben nicht auf einen Wodka getippt! Ich frage mich, worauf ich stattdessen getippt hätte… vermutlich am ehesten auf einen Agavenbrand. Dieser Wodka ist alles andere als das, was man von einem Wodka erwartet: er ist nicht subtil, nicht zurückhaltend, nicht fast geruchsneutral – ganz im Gegenteil: Hier ist eine Menge drin. Und zwar finde ich eine würzige Birne, weißen Pfeffer, Nüsse, Kräuternoten (Sauerampfer, etwas Majoran), mit der Zeit mehr und mehr Apfel anstelle der Birne, auch eine süßliche Paprika ist mit von der Partie und – auf die Gefahr hin, dass mir hier meine Fantasie einen Streich spielt – etwas erdige Kartoffelschale.
Geschmack: Eine überreife Birne mit fast schon holzigen Noten vermischt sich mit Gewürzen und Kräutern, die ich zunächst nicht zuordnen kann (im Laufe der Zeit kristallisieren sich Sauerampfer, Zimt und eine Nuance Nelken heraus). Im Grunde verdichtet sich mein Eindruck eines Birnen-Gewürzkompotts, aber auch Vanille und eher erdige Noten sind zugegen. Ich bin wirklich begeistert, damit habe ich nicht gerechnet!
Abgang: lang, holzige Birne und Gewürze
Ich muss das tatsächlich erstmal für mich selber einordnen. Doch ich komme nicht umhin: Das ist der beste Vodka, den ich je getrunken habe. Einer, den ich tatsächlich pur wieder trinken will. Einer, der mir Geschmackswelten eröffnet, die ich bisher noch nicht kannte. Auf die Gefahr hin, mich auch hier zu wiederholen: Wow! Joerg Meyer hat tatsächlich nicht zu viel versprochen und William Borrell mag mit der Einschätzung seiner eigenen Marke als bester Wodka der Welt durchaus richtig liegen (auch wenn mir hier die Vergleichsexpertise fehlt). In meinem im Anschluss an das Tasting aufgekommenen Enthusiasmus kamen mir ganz viele Ideen auf einmal in den Kopf, was man mit diesem Vodka so alles machen könnte. Hängengeblieben bin ich dann bei der Idee, einen Twist auf einen Sherry Cobbler zu wagen. Der Sherry Cobbler ist ein geschichtsträchtiger Sommerdrink, der eigentlich nur aus Sherry und Zucker besteht und mit Früchten gereicht wird. Besonders die ausgeprägten Birnennoten des Vestal Appellation Pomorze haben mich dann aber zur Idee verleitet, diesen Drink zu variieren. So habe ich zu gleichen Anteilen Vestal Appellation Pomorze und einen Lustau Papirusa Manzanilla Sherry mit etwas Zimtsirup kombiniert und dazu gewürfelte, in Spiced Rum eingelegte Birne in den Drink gegeben. Jetzt mag das natürlich die Frage aufwerfen, ob das denn zusammen geht? Und wie! Spiced Rum ist normalerweise nicht mein Getränk der Wahl und selbst in Tikidrinks setze ich ihn nicht oft ein, hier erfüllt er aber einen ganz formidablen Zweck. Es sollte ein eher vanillelastiger Spiced Rum sein, in dem man Birnenwürfel für ca. 2 Tage ziehen lässt. Danach wird der überschüssige Rum abgegossen (und kann für andere „Experimente“ verwendet werden). Die Birnenstücke erhalten dadurch eine würzige, aromatisch-süße und ganz verführerische Note, die keinesfalls den eigentlichen Cocktail verfälscht oder irgendwie rumlastig wirken lässt. Vielmehr ist die Kombination aus Manzanilla Sherry, dem würzig-komplexen Birnenaroma des Vestal Appellation Pomorze, dem Zimt und den eingelegten Birnenwürfeln ein richtiges Aha-Erlebnis und passt ganz ausgezeichnet. Aufgrund der beiden „Ps“, Pear und Potato, habe ich den Drink schlicht „P&P Cobbler“ genannt.
Rezept „P&P Cobbler“:
4,5 cl Manzanilla Sherry
4,5 cl Vestal Appellation Pomorze
1,5 cl Zimtsirup
eine kleine Hand voll in Spiced Rum eingelegte Birnenwürfel (s.u.):
in Spiced Rum eingelegte Birnenwürfel: Einfach gewürfelte Birnenstücke in einem Schraubglas mit Spiced Rum übergießen und für ca. 2 Tage durchziehen lassen. Danach den Spiced Rum abgießen (ggf. für weitere Zwecke auffangen, man erhält so einen Birnen-infundierten Spiced Rum) und die Birnenstücke weiterverwenden.
Zubereitung: Die Birnenstücke zusammen mit gestoßenem Eis ins vorgekühlte Glas geben (ggf. schichten). Schließlich die restlichen Zutaten auf Eis schütteln und ins Glas abseihen.
Glas: Cobbler oder Copa Balon
Garnitur: frische Minze
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.
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