Heute habe ich mir durchaus etwas vorgenommen. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Denn heute geht es um ein Produkt, das aus einer bisher hier noch völlig unbehandelten Kategorie stammt, die dazu auch in Europa gegenwärtig immer noch relativ unbekannt ist und obendrein für mich eine echte Herausforderung darstellt. Und das Thema „Baijiu“ ist gigantisch groß (während mein Erstkontakt mit Baijiu gigantisch schlecht war). (zugesandtes Testprodukt)*
Zuallererst will ich daher klarstellen, dass ich in diesem Artikel keine enzyklopädisch-detaillierte Einführung in das Thema geben kann. Dafür ist die Thematik wirklich zu umfassend und auch im Kontext dieses Artikels zu erdrückend – zumal ich in Zukunft vermutlich eher selten Baijius hier rezensieren werde (auch wenn es sicherlich zu wünschen wäre, dass diese Spirituosengattung sich in Europa weiter verbreitet). Wer aber wirklich an einer sehr umfangreichen und meiner folgenden Einführung um ein Vielfaches an Detailliertheit und Breite überlegenen Artikelreihe zur Thematik interessiert ist, dem kann ich die Serie „Mit einem Krug Wein zwischen den Blumen“ des Bloggerkollegen Helmut Barro absolut ans Herz legen (denn aus dieser Reihe habe auch ich einen Teil meiner Informationen bezogen). Wer sich hingegen mit einem eher kurzen Umriss des Baijiu-Horizonts zufrieden geben kann, der wird hoffentlich auch mit meiner Einführung zufrieden sein.
Baijiu (白酒) bedeutet wörtlich so viel wie „weißer Alkohol“ oder schlicht „Schnaps“. Er wird in China vermutlich seit dem 12. Jahrhundert hergestellt, wobei natürlich auch hier eine historische Entwicklung den Charakter des Baijiu bis zum heutigen Tage maßgeblich verändert hat. Hergestellt wird dieser aus Wasser, Getreide und „Qu“ (麴). Qu ist eine Art gepresstes Getreide, das zur Ausbildung von zur Gärung nötigen Mikororganismen beiträgt (Hefe, Bakterien). Ähnlich wie die teils jahrhundertealten Hefestämme westlicher Destillen pflegen auch chinesische Baijiubrennereien ihre eigenen Qu-Rezepturen, die im engen Zusammenhang mit der Umgebung und dem Umgebungsklima stehen. Die Getreidebasis wiederum ist gewissermaßen in alle Richtungen denkbar, der Großteil des Baijius wird allerdings aus Sorghumhirse hergestellt. Gebrannt wird im Anschluss an die Fermentation der Maische schließlich in traditionellen chinesischen Brennkesseln, die am ehesten mit Pot Stills zu vergleichen sind (s. Abbildung).
Biajiu existiert im Wesentlichen in vier verschiedenen Kategorien: Starkaroma-Baijiu (浓香型白酒), Leichtaroma-Baijiu (清香型白酒), Soßenaroma-Baijiu (酱香型) und Reisaroma-Baijiu (米香型). Das klingt sicherlich erst einmal komisch für das westliche Ohr, macht aber durchaus Sinn, wenn man die geschmacklichen Richtungen einmal exemplarisch miteinander vergleicht und hier seine Geruchs- und Geschmackserfahrungen sammelt. Ganz so sehr ins Detail kann ich aber auch hier heute nicht gehen, da ich lediglich eine spezifische Flasche rezensieren will, die zur Gruppe der Starkaroma-Baijius zählt, was gleichsam auch die größte bzw. verbreitetste Gruppe ist. Sie stammt aus der chinesischen Provinz Sichuan (die vielen für ihre höllisch scharfe Küche bekannt sein dürfte). Tja, und hier komme ich auch noch einmal zurück auf meine Eingangsbemerkung bezüglich meines „gigantisch schlechten“ Erstkontaktes:
Damals war ich noch sehr jung (18 oder 19 Jahre alt) – ich bin mir nicht ganz sicher, ob es noch im letzten oder bereits in diesem Jahrtausend war – und hatte im Grunde überhaupt keine Ahnung von Spirituosen, Trinkkultur oder sonstigen Hintergründen zur Materie. Mein Vater brachte damals von einer Urlaubsreise aus China eine Flasche „Schnaps“ mit. Als ich auf einem Geburtstag eines Freundes eingeladen war, drückte mir mein Vater vorher die leicht exotisch aussehende Flasche in die Hand: „Nimm die mal mit, vielleicht will die ja irgendjemand trinken. Wir mochten das nicht so gern.“ und grinste nur. Mitgenommen habe ich die Flasche dann auch – und damit später fast die Party gesprengt. Egal, wer auch nur seine Nase in die Nähe dieses „Zeugs“ bewegte, verzog angewidert das Gesicht, die wenigen „Mutigen“, die einen Schluck davon nahmen (mich eingeschlossen), mussten Übelkeit zurückhalten und auch sämtliche Mischversuche mit Cola, Fanta und dergleichen (was man damals halt so für tolle Getränkideen hielt) mündeten alle in einem geschmacklich-olfaktorischen Fiasko. Ich weiß leider nur noch in etwa, wie dieser Baijiu hieß: Xi Feng Yu – oder so ähnlich. Jedenfalls kostete er wohl fast nichts – und schmeckte auch so.
Vor vier Jahren war ich selbst zum ersten Mal in China und habe dort auch Baijius pur und in Cocktails probiert und war doch überrascht, dass diese Schnapskategorie auch zu gefallen weiß. Allerdings boomt der Premiummarkt im sehr repräsentationsfixierten China auch gewaltig und entsprechend viele Qualitäten sind dort verfügbar.
Den Versuch, einen Starkaroma-Baijiu (ausgerechnet!) nun auch im Westen populär zu machen, unternehmen mit dem Ming River Sichuan Baijiu nun der Amerikaner Derek Sandhaus (ein studierter Philosoph) und sein deutscher Kollege und Sinologe Matthias Heger. (Im Übrigen habe ich selbst in meinem Studium einmal ein Seminar über chinesische Philosophie besucht und wurde dort mit einer wilden Mixtur aus philosophischen Fragmenten und Schriftzeichenkunde konfrontiert. Das Thema erschien mir damals sehr exotisch und interessant, aber auch mit einem ungeheuren sprachwissenschaftlichen Anspruch verknüpft. Ich habe es nie weiter verfolgt, nehme aber amüsiert zur Kenntnis, dass dieser Weg bei manchen offenbar auch zum Vertrieb von Spirituosen führen kann.) Für etwa 35 bis 40 Euro kann man sich von der Qualität dieses Tropfens überzeugen.
Der Ming River Sichuan Baijiu stammt aus der ältesten, durchgehend Baijiu produzierenden Destille Chinas: Luzhou Laojiao. Dort stellt man seit dem Jahr 1573 Baijiu her – ein gewaltiger Zeitraum! Die Maische für den Ming River fermentiert für ganze zwei Monate in Lehmgruben, bevor schließlich destilliert wird. Zuletzt reift der Baijiu für „bis zu“ zwei Jahre in Tongefäßen nach und wird dann brennereiintern mit anderen Batches zum finalen Baijiu vermählt. Es handelt sich hierbei um einen Baijiu aus Sorghumhirse. Abgefüllt wird schließlich mit stattlichen 45% vol.
Tja, wie schlägt sich nun der Ming River Sichuan Baijiu im Tasting? Ein wenig musste ich meinen Mut schon zusammen nehmen, denn so ganz unbedarft kann ich an diese Kategorie noch immer nicht herangehen, auch wenn ich bereits positive Erfahrungen meinen Jugenderinnerungen entgegenstellen konnte.
Tasting Notes:
Aroma: eine unglaublich intensive, fast durchdringende Note weißt dieser Baijiu auf, insofern erweist er dem Ruf dieser Spirituosengattung schon eine gewisse Ehre. Das Erstaunliche ist: sie ist keineswegs unangenehm. Das mag jetzt etwas jovial klingen, ist aber keineswegs so gemeint. Vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erfahrungen mit Baijiu ist diese Formulierung schlicht Ausdruck einer positiven Überraschung. Intensive, reife Ananas ist die erste Assoziation, die mir in den Sinn kommt. Dahinter findet sich ein Potpourri an vergorenen, hellen Früchten. Anklänge erdiger, an Knollengemüse erinnernder Töne sind ebenfalls mit von der Partie. Ich vermeine sogar, eine leicht mentholartige Note zu vernehmen und tatsächlich reifer Käse, ein wenig in Richtung eines Parmesan. Die Nase ist sehr vielschichtig und hier ist eine Menge zu entdecken. Dabei bleibt der Ming River Baijiu durchgehend überaus ausdrucksstark.
Geschmack: Wieder unglaublich präsent und voluminös mit einer ganzen Wagenladung an Facetten trumpft der Ming River Baijiu auf. Ananas, Gewürze, Linsenmehl, erdige Anklänge, gar ein minimaler Rauch und mineralische Noten zeichnen ein Geschmacksbild, das man definitiv bei keiner anderen Spirituose finden wird. Am Gaumen bestätigt sich mein Gedanke an Menthol. Zwar ist dies nicht die zentrale Geschmackskomponente, sie ist aber auch hier zugegen. Leicht gegorene Zwischentöne sind ebenfalls nicht zu verkennen. Intensiv und imposant, überhaupt keine Frage. Das mag nicht jedem gefallen, aber wer etwas wirklich Beeindruckendes sucht – und das im wahrsten Sinne des Wortes – dem kann ich diesen Baijiu absolut ans Herz legen.
Abgang: überraschend trocken, auch hier wieder etwas Ananas und Gärnoten
Ist der Ming River Sichuan Baijiu nun etwas für jedermann? Ziemlich sicher: nein! Auch an diesen Baijiu muss man mit einer gewissen Aufgeschlossenheit herangehen, denn die Aromen werden einen so oder so mitreißen und in ihrer Intensität treffen. Aber: der Ming River Sichuan Baijiu ist ein wirklich gelungener und dabei doch sehr sanfter Vertreter der Starkaroma-Kategorie. Er ist in gewisser Weise tatsächlich ein idealer „Botschafter“ seines Genres, denn auch wenn er natürlich ein Starkaroma-Baijiu bleibt, so weiß er auch einer westlichen Geschmackserwartung zu gefallen – wenn diese nicht zu verbohrt bleibt. Wer aber kraftvolle Rhum Agricoles, Clairins oder derartige Spirituosen mag, der ist beim Ming River Sichaun Baijiu vermutlich richtig.
Tja, bleibt noch das Thema Cocktails: Auch wenn China keine genuine Cocktailtradition besitzt, so boomt auch dort das Bargeschäft und immer mehr Bartender experimentieren mit dem traditionell eigentlich im Zuge eines Essens pur gereichten Baijiu. Man muss sich aber darüber im Klaren sein: Ein Starkaroma-Baijiu denkt nicht daran, sich zu verstecken. Hier haben wir es mit einer flüssigen Rampensau zu tun, die ein paar Nebentänzer duldet, am Ende aber sich als erster und letzter vor dem Publikum verbeugt. Und damit so eine Aromenshow auch funktioniert, müssen die Nebentänzer natürlich mithalten können.
Deshalb habe ich mir einen Drink ausgedacht (und bin auch sehr angetan), der diesem Hintergrund Rechnung trägt. Der „Crossing the Silk Road“ soll den Genießer mit auf eine aromatisch-würzige Reise nehmen, exotisch und langanhaltend mit einem echten Baijiu-Erlebnis. Dazu habe ich einen Sour mit Zitronensaft als Basis genommen und schließlich etwas Elixir China hinzugegeben, zwei Barlöffel grüne Chartreuse und einen Barlöffel besonders im Abgang zur Geltung kommenden Pimento Dram. Abgerundet mit Ginger Bitters und einer Nuance Peychauds kann die Reise über die Seidenstraße beginnen. Und weil diese ja bekanntlich auch entlang eisbedeckter Gipfel führt, ruht auch ein solcher im Cocktail, wenn dieser serviert wird.
Rezept „Crossing the Silk Road“:
4 cl Baijiu
2 cl Nardini Elixir China
2,5 cl Zitronensaft
2 cl Zuckersirup
2 Barlöffel Chartreuse verte
1 Barlöffel The Bitter Truth Pimento Dram
2 Dashes By the Dutch Ginger Bitters
1 Dash Peychauds Bitters
Zubereitung: Alle Zutaten kräftig auf Eis schütteln und ins mit einem großen „Eisberg“-Eisklumpen gefüllte Glas geben.
Glas: Tumbler
Garnitur: gedörrtes Zitronenrad und eingelegte Kirsche
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.
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