Ich komme gerade aus einem Italienurlaub zurück. Und da lässt es sich gewissermaßen gut an, den heutigen Artikel auf den Weg zu bringen! Vor wenigen Jahren wusste aus dem Stegreif so gut wie niemand außerhalb Italiens, was ein Rosolio ist. Und auch wenn dieser Begriff in der Breite der Gesellschaft nach wie vor nicht wirklich für ein Aha-Erlebnis sorgen dürfte, so hat sich das in der Bar- und Cocktailsphäre fraglos geändert. Verantwortlich dafür zeichnet wohl ohne jeden Zweifel der Italicus Rosolio di Bergamotto – ein mit Preisen überhäufter und medial sehr präsenter Vertreter dieser Kategorie, den auch ich hier in der Vergangenheit schon rezensiert habe (s. Link). Doch es gibt inzwischen Konkurrenz! (zugesandtes Testprodukt)*
Besser gesagt: es gibt inzwischen eine Ergänzung der Palette der Rosolios auch außerhalb Italiens. Dieser stammt aus Turin (neben Süditalien ist das Piemont gewissermaßen das Hauptverbreitungsgebiet der mit Rosenblättern hergestellten Liköre) und wird unter dem Namen Doragrossa herausgebracht. Im Hause Doragrossa beruft man sich auf die alten Hochzeiten der Rosolios, aber auch der Amaros und anderer italienischer Liköre. Deshalb werde ich heute hier nicht bloß einen Rosolio rezensieren, sondern gleich noch drei andere italienische Liköre dazu! Allesamt mit gänzlich unterschiedlichen Schwerpunkten und somit natürlich auch unterschiedlichem Potential für den Einsatz hinter der Bar!
Doragrossa ist dabei der Name eines historischen Stadtviertels von Turin rund um die heutige Via Garibaldi. Während des 16. Jahrhunderts entwickelte sich dieses Viertel in Folge eines Edikts König Karl Emanuels von Sardinien-Piemonts zu einem Zentrum der Likör- und Schnapsherstellung – so erzählt es der Hersteller auf seiner Webseite. All die Beweihräucherung mit historischer Luft, die einem dort entgegenschlägt, steht wohl auch in einem Zusammenhang mit den völlig fehlenden Informationen über die Geschichte des Herstellers, über den man leider so gut wie nichts erfährt. Aber gut, letztlich sollen ja dann auch die Produkte für sich sprechen – völlig unabhängig von vermeintlich alten Rezepten, Traditionsunternehmen in der x-ten Generation (oder eben auch nicht) und geschichtlich tradierten Spirituosenspielarten.
Beginnen möchte ich mit dem Rosolio des Hauses, dem Doragrossa Rosolio di Torino. Dieser mit 30% vol. abgefüllte Rosolio wird – neben Alkohol und Zucker versteht sich – mit Zitronen, Zimt, Anis und Nelken hergestellt. Das sind zumindest die Zutaten, die der Hersteller verrät.
Tasting Notes „Doragrossa Rosolio di Torino“:
Aroma: Gänzlich anders als der oben angesprochene Italicus, wartet dieser Rosolio viel voluminöser und weniger filigran mit einer Wagenladung voller Gewürze auf. Fast schon weihnachtlich Noten von Nelken, Anis, Zitronen, aber auch Zimt – alle genannten Gewürze sind klar erkennbar! Ein Hauch von subtilem Pfefferminz schleicht sich ein, ansonsten muss ich an Lebkuchen, genauer noch an Pfeffernüsse denken.
Geschmack: süß und würzig zeigt sich der Rosolio di Torino. Wieder sind von Anfang an die Pfeffernussassoziationen da, dazu eine feine, kandierte Zitronenschale und etwas kandierter Ingwer, Piment und Zimt.
Abgang: süß, mittellang mit Gewürzen
Als nächstes folgt ein Klassiker der italienischen Spirituosenlandschaft, der – anders als der Rosolio – so gut wie jedem etwas sagen dürfte: ein Amaro (für mehr Hintergrundinformationen zu Amari sei ein Blick in diesen Artikel empfohlen). Der genaue Name lautet Doragrossa Amaro di Torino. Hier wurde zur Herstellung auf pinke Rhabarberwurzeln, Wacholder, Enzian, wilden Fenchel und Süßholz zurückgegriffen – eine durchaus interessante Mischung, die auch an einen Rabarbaro denken lässt. Der Amaro di Torino wartet mit 23 % vol. auf.
Tasting Notes „Doragrossa Amaro di Torino“:
Aroma: Im Vergleich zum Rosolio zeigen sich neben einer deutlich zurückgenommenen Süße vor allem ausgeprägte Bittertöne bereits in der Nase. Enzianwurzeln, Wacholder dunkler Honig, getrocknete Hülsenfrüchte, Fenchel und Süßholz – hier ist so einiges drin.
Geschmack: Süße und Bittere sind recht gut ausbalanciert, wieder überwiegen bittere Wurzelnoten vom Enzian, die für Amari recht typisch sind. Dazu gesellen sich etwas Karamell, Nelken und wieder ein Hauch Fenchel und Süßholz.
Abgang: herb-würzig, leicht bitter mit mittellang anhaltender Süße, die Gewürze treten zunehmend in den Hintergrund
Stichwort Rabarbaro: auch einen solchen bietet Doragrossa in seiner Range an, allerdings keinen ganz klassischen, sondern einen, der zusammen mit grüner Minze daherkommt. Entsprechend sind das auch die beiden primären Zutaten im Doragrossa Elixir Rabarbaro e Menta: Pinke Rhabarberwurzel und grüne Minze. Abgefüllt wird dieser Likör mit 20% vol. Das Wort Elixir weist hier auf die pharmazeutischen Ursprünge der Kategorie hin.
Tasting Notes: „Doragrossa Elixir Rabarbaro e Menta“:
Aroma: Ein deutlicher Mentholeinschlag von der Pfefferminze zeigt sich, dahinter an den Amaro erinnernde Bitternoten, die an Wurzeln denken lassen. Karamell und eine Idee von eingelegten, dunklen Pflaumen finde ich ebenfalls.
Geschmack: Am Gaumen dominiert ein satter, dunkler Honig mit Pfefferminze, dazu kommen Assoziationen von Melasse bzw. Zuckerrübensirup. Bittertöne von der Rhabarberwurzel runden das Geschmacksbild ansprechend ab.
Abgang: mittellang mit einem Zusammenspiel aus Süße, Bittere und Menthol
Und zuletzt wäre da noch der Liquore Menta di Pancalieri. Minzliköre sind im Piemont recht verbreitet und insbesondere die Ortschaft Pancalieri hat sich als Zentrum der Herstellung etabliert. Die dort wachsende Minze genießt einen besonders guten Ruf und wird als Pancalieri-Minze auch für den Doragrossa Liquore Menta di Pancalieri verwendet. Mit 24% vol. darf man sich hier also auf eine sehr frische Angelegenheit freuen.
Tasting Notes „Doragrossa Liquore Menta di Pancalieri“:
Aroma: Minze, Menthol, überhaupt: Gletscherbonbons, ja, das trifft es am besten. Dazu ein Hauch Zitrone.
Geschmack: der Geschmack entspricht sehr stark den Erwartungen, die das Aroma weckt, aber mit einer ausgeprägten Süße, die sich hinzugesellt.
Abgang: lang-anhaltende Mentholnote, von einer feinen Süße unterlegt
Zwei verschiedene Drinks möchte ich heute hier noch vorstellen. Natürlich bieten sich mit vier Likören unglaublich viele Möglichkeiten zur Verwendung in Cocktails, weshalb ich hier nicht diesem Potential umfassend gerecht werden kann. Aber zumindest den Doragrossa Rosolio di Torino und den Doragrossa Amaro di Torino habe ich schon in einem Drink in Szene gesetzt. Weitere Drinks werden in Zukunft folgen.
Den Anfang macht ein exotischer Longdrink, in dem ich vor allem asiatisch-inspirierte Aromen mit dem würzig-filigranen Charakter des Doragrossa Rosolio kombiniert habe. Ein mit frischem Koriander infundierter, weißer Rum, Limettensaft, Zitronengras, Bitters und Ginger Beer ergeben einen erfrischenden Cocktail namens Eastern Rose.
Rezept „Eastern Rose“:
4 cl mit Koriander infundierter, weißer Rum (s.u.)
2 cl Doragrossa Rosolio di Torino
2,5 cl Limettensaft
1 fingergroßes Stückchen Zitronengras
1 Dash Angostura Bitters
Ginger Beer
mit Koriander infundierter, weißer Rum: auf jeweils 250 ml weißen Rum eine Hand voll frisches Koriandergrün geben und für 24 Stunden infundieren lassen. Danach Koriandergrün herausnehmen (ein Filtern ist mitunter gar nicht nötig). Der Rum sollte nun eine grünliche Färbung angenommen haben.
Zubereitung: Zitronengras längs halbieren und mit den restlichen Zutaten (bis auf Ginger Beer) in einen Shaker geben. Kräftig auf Eis schütteln und dann doppelt in ein mit einem Eiskeil gefülltes Glas abseihen. Zuletzt mit Ginger Beer toppen.
Glas: Highball oder Fizz
Garnitur: Zitronengras
Und auch im zweiten Drink spielt Ingwer eine Rolle, diesmal in Form einer Marmelade: Zusammen mit einem Dry Gin habe ich den Doragrossa Amaro di Torino nebst Zitronensaft, Orangensaft, Tonic Bitters und englischer Ginger Jam eingesetzt und mit Sodwasser aufgefizzt. Ein schöner Drink als Start in den Abend – falls man z.B. noch ausgehen möchte, also: Andiamo!
Rezept „Andiamo Fizz“:
3,5 cl Doragrossa Amaro di Torino
3 cl Dry Gin
2 cl Zitronensaft
1 cl Orangensaft
1 gehäufter Barlöffel Ginger Jam
2 Dashes The Bitter Truth Tonic Bitters
Sodawasser
Zubereitung: Alle Zutaten bis auf das Sodawasser in einem Shaker auf Eis kräftig schütteln. Schließlich doppelt ins mit frischem Eis gefüllte Glas abseihen und mit Sodawasser auffizzen.
Glas: Tumbler
Garnitur: Orangenzeste
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir diese Produkte zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.
Ich finde den Andiamo Fizz ja einen super Tipp. Das ist ein Mega-Cocktail, der immer passt. Der geht auch als Aperitif und wäre mal ein guter Rat für die Perfekte-Dinner-Community. Da ich keinen Koriander mag, bin ich beim Eastern Rose leider raus.
Liebe Grüße
Vielen Dank, Stefan. Ich freue mich, dass Dir der Cocktail gefällt. Tatsächlich kann man den hervorragend als Aperitif reichen, er ist keinesfalls zu schwer oder überladen. An Koriander scheiden sich die Geister, das ist mir wohl bewusst (aber da ich ihn liebe, versuche ich auch immer mal wieder, ein paar Rezepte damit hier vorzustellen).
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