Den heutigen Artikel möchte ich mit einem grundlegenden Bekenntnis eröffnen: Ich liebe Bitterliköre! Wer meinen Blog schon eine Weile verfolgt, den dürfte das wenig wundern, denn meine Vorliebe für bittere Cocktails und entsprechend auch bittere Cocktailingredienzen habe ich immer mal wieder angesprochen und natürlich hat sie auch eine entscheidende Rolle bei vielen meiner eigenen Rezepturen gespielt. Das soll natürlich nicht heißen, dass es hier in einem durch „bitter“ zugeht, aber eben immer einmal wieder. Daher ist es längst überfällig, einmal einen näheren Blick auf italienische Amari zu werfen. (zugesandtes Testprodukt)*
Amari ist der Plural von Amaro, was dem Spirituosen zugeneigten Leser sicherlich ein Begriff sein dürfte. Für all diejenigen, die mit dem Begriff nicht sofort etwas anfangen können, sei kurz erklärt: es handelt sich dabei um einen Sammelbegriff für italienische Bitterliköre (das Wort Amaro bedeutet schlichtweg „Bitter“), die allerdings sehr unterschiedlich aufgestellt sein können. Nicht zuletzt weil es auch in anderen europäischen Ländern eine große Tradition von Bitterlikören gibt (z.B. die französischen Amers, Kräuterbitter im slawischen Raum, zahlreiche Kräuterliköre aus dem deutschsprachigen Raum, usw.), sieht die EG-Verordnung Nr. 110/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vor, dass Amari (sowie andere Bitterliköre) Spirituosen „mit vorherrschend bitterem Geschmack“ sein müssen, die mit natürlichen und naturidentischen Aromastoffen sowie Naturextrakten hergestellt werden können und einen Mindestalkoholgehalt von 15% aufweisen. Man kann schon erahnen, wieviel Spielraum eine solche Definition lässt und wenn wir über Geschmack reden, lässt sich vortrefflich nicht nur im sprichwörtlichen Sinne darüber streiten, was denn nun ein vorherrschend bitterer Geschmack ist und was nicht.
Die Herstellung der Amari in Italien geht jedenfalls – wie oftmals in der Geschichte von Kräuterspirituosen – auf die Verwendung als Arzneimittel zurück. Amari wurden traditionell wohl zuerst in Klöstern, später aber auch in Apotheken hergestellt, um gegen alle möglichen Wehwehchen ein Heilmittel zu bieten. Im Laufe der Zeit haben sich aus diesen Amari ganz verschiedene Spielarten herauskristallisiert, gewissermaßen Unterkategorien dieser Kräuterliköre, die allesamt wiederum bestimmte Eigenarten aufweisen. Ob ganz klassische, meist noch mit einer deutlich ausbalancierenden Süße ausgestattete Kräuteramari, Fernets, Rhabarbaros, Artischockenbitter, die klassisch rötlichen Bitters (mit Campari als wohl bekanntester Marke – die Zugehörigkeit zur Kategorie Amaro ist hier allerdings umstritten) oder viele andere, teils sehr einzigartige Spielarten – es wird jedenfalls schnell klar: Amari gibt es in zahlreicher und sich z.T. deutlich unterscheidender Couleur. Entsprechend kann es schon allein aus zeitlichen Gründen nicht mein Anspruch sein, hier in enzyklopädisch erschöpfender Manier eine Abhandlung über Amari zu bieten.
Was ich aber machen möchte, ist, allmählich und immer mal wieder auf bestimmte Abfüllungen dieser Likörgattung einzugehen und diese hier zu rezensieren. Und beginnen möchte ich heute mit einer Abfüllung aus dem Hause Nardini. Dies ist insofern schon keine ganz abwegige Wahl, als dass die Destille Nardini die urkundlich belegt älteste Brennerei Italiens ist. Sie wurde von Bartolo Nardini im Jahr 1779 in Bassano del Grappa in der Region Venetien gegründet und befindet sich bis zum heutigen Tage (in siebter Generation) in Familienhand. Wer sich mit dem Thema Grappa auskennt, dem wird der Name Nardini sicherlich v.a. als Hersteller qualitativ hochwertiger Abfüllungen des italienischen Tresterbrandes bekannt sein, doch auch wenn es um Amari geht, versteht man im Hause Nardini sein Handwerk.
Die Flasche, die ich heute näher unter die Lupe nehmen will, ist der Nardini Fernet. Er wird am Brennereistandort Bassano hergestellt und auf der Flasche prangt bereits der Schriftzug „Distilleria a Vapore“. Dies verweist auf die klassische Herstellungsweise in der Grappaproduktion, bei der in einem ersten Brenndurchgang heißer Dampf, welcher den aus der Trestermaische gelösten Alkohol trägt, aufgefangen wird und schließlich nach einer Kondensation ein zweites Mal auf Säulendestillationsanlagen gebrannt wird. Nardini hat im Laufe der Jahrhunderte jedoch auch andere Spirituosen in das Sortiment aufgenommen, die auf der Basis von Agraralkohol hergestellt werden. Darunter besagter Fernet. Wer nun an Fernet denkt, wird vermutlich eher an den Branchenriesen Fernet Branca denken, doch gibt es neben diesem eben auch weitere Hersteller des klassischen Amarotyps. Klassische Fernetkräuter sind etwa Myrrhe, Rhabarber, Safran, Kardamom oder auch Kamille, von Seiten der Nardini-Brennerei verrät man als Zutaten jedoch lediglich „Chinesischer Rhabarber, Enzianwurzel, Gewürze und Kräuter“. Fernettypisch wird mit 40% vol. abgefüllt. Wie sich der Nardini Fernet bei mir in der Verkostung geschlagen hat, kann man im Folgenden lesen:
Tasting Notes:
Aroma: In der Nase zeigt sich eine sehr herb-würzige und erdige Note, wie man sie von einem Fernet erwartet. Man ahnt bereits die Bitterkeit dieses Likörs, doch auch eine schöne, süßliche Komponente mischt sich in den Hintergrund, die ein wenig an Zuckerrübensirup erinnert. Der Rhabarber bleibt nur zu erahnen, dezente Mentholnoten sind zu vernehmen, zudem ein ganzes Potpourri schwer bestimmbarer Gewürze und Kräuter.
Geschmack: Am Gaumen entfaltet dieser Fernet sein intensiv-bitteres und würzig-erdiges Aroma. Die Mentholnoten sind etwas ausgeprägter als in der Nase, ohne jedoch zu vordergründig zu werden. Die Süße des Fernets ist ebenfalls da, doch auch sie tritt nicht vordergründig auf – wer eher süße Kräuterliköre mag, wird sich auch mit dem Nardini Fernet in der Purverkostung schwer tun. Assoziationen von Rhabarber sind isolierbar, die Enzianwurzel ist leichter zu erkennen. Kraftvoll und überaus würzig weiß mich der Nardini Fernet durchaus zu überzeugen. Hier kann man aromatisch unglaublich viele Einzelfacetten finden, die allerdings z.T. schwer zu definieren sind.
Abgang: bitter, würzig und intensiv – sehr langanhaltend
Wenn es nun ums Mixen geht, habe ich den Nardini Fernet in einem wirklich großartigen Cocktail eingesetzt, der im Grunde inzwischen zu meinen großen Favoriten zählt: Dem „Dantes in Fernet“. Jenes flüssige Wortspiel, das auf den ersten Teil von Dante Alighieris Göttlicher Komödie namens „Inferno“ anspielt, wurde vom französischen Barmann Mickael Lenu in der Ancestral Bar in der neuseeländischen Hauptstadt Wellington kreiert und erinnert entfernt an den Blood & Sand Cocktail. Im Original besteht er u.a. aus zwölfjährigem Glenlivet und Fernet Branca, die von mir adaptierte Version arbeitet jedoch mit einem minimal rauchigen, wunderbar körperreichen Single Malt mit Noten von Röstkaffee und Schokolade, die – so finde ich – noch ein deutlich besseres Ergebnis liefern als es der eher apfelholztönige Glenlivet 12 vermag: dem Fettercairn Fior. Er greift einfach schöner die Orange im Cocktail auf und harmoniert auch wunderbar mit den Schokoladenbitters. Und natürlich mit der spezifischen Charakteristik des Nardini Fernets, die diesen Cocktail einfach zu einem flüssigen Gedicht werden lässt – Dante Alighieri hätte dem sicherlich zugestimmt (und ich hoffe, Mickael Lenu würde die Abwandlung auch gefallen).
Rezept: „Dantes in Fernet“ (von mir adaptierte Version):
4 cl Fettercairn Fior Single Malt Scotch Whisky
1,5 cl Nardini Fernet
1 cl Ahornsirup
3 cl Blutorangensaft
1 Dash The Bitter Truth Chocolate Bitters
Zubereitung: Alle Zutaten kräftig auf Eis schütteln und doppelt ins vorgekühlte Glas abseihen.
Glas: Coupette
Garnitur: Blutorangenzeste
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.
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