„Chartreuse ist ein Kräuterlikör aus der großen Kartause!“ – Das war tatsächlich der erste Satz, der mir vor vielen Jahren bei meinem ersten bewussten Kontakt mit dem Likör aus der wahlweise grün- oder gelbetikettierten Flasche begegnete. Er stammte von einem Freund, der auf die Schnelle recherchiert hatte, worum es sich genau bei dieser Spirituose handelt – und hinterließ erstmal ein großes Fragezeichen. Zwar bin ich eigentlich kein kulturell völlig uninteressierter Mensch, aber man möge mir nachsehen, dass ich damals nicht sofort etwas mit dem Begriff „Große Kartause“ anfangen konnte. Bis ich der Sache dann später noch einmal richtig nachgegangen bin. (zugesandte Testprodukte)*
Die große Kartause ist das Mutterkloster des Kartäuserordens und liegt beim Dorf Saint-Pierre-de-Chartreuse im Südosten Frankreichs. Die Historie des Klosters reicht weit in die Geschichte zurück, denn bereit im Jahr 1084 wurde an der Stelle des Klosters eine Einsiedelei durch den Ordensgründer Bruno von Köln errichtet. Das für uns eigentlich interessantere Jahr ist dann aber das Jahr 1605 gewesen, in dem François-Annibal d’Estrées, ein berühmter französischer Marschall, den Kartäusermönchen ein Rezept für ein „Elixir des langen Lebens“ geschenkt haben soll. Woher der Marschall selbst das Rezept hatte, ist ungewiss. Wer nun aber denkt, dass man seitdem durchgehend den Chartreuse-Likör herstellt, wie wir ihn heute kennen, den muss ich dann doch enttäuschen. Denn erst 1737 entwickelte der Kartäusermönch Jérôme Maubec daraus das auch heute noch erhältliche Élixir Végétal de la Grande Chartreuse. Im Jahr 1764 wurde dann erstmals eine etwas mildere Variante des eigentlich mit 69% vol. abgefüllten Elixirs hergestellt und zwar der heute bekannte Chartreuse verte. 1838 kam dann schließlich auch noch der gelbe Chartreuse jaune hinzu. Auch heute kennen lediglich zwei Mönche der großen Kartause das Geheimnis der Herstellung, die exakte Mischung der Kräuter, Gewürze und Blüten und die korrekte Lagerungszeit in Eichenholzfässern (die Süddeutsche hat dem Likör und seiner Kräutermischung im Jahr 2013 mal einen kurzen Artikel gewidmet).
In Anlehnung an die Entstehungsgeschichte des Likörs gilt jedoch das Jahr 1605 als der Ursprung jener Spirituose, weshalb man auch am 16. Mai jedes Jahres den sog. Chartreuse Day begeht. Und welcher Tag ist heute? Genau! Happy Chartreuse Day!
Chartreuse hat es seither geschafft, eine wirklich unverzichtbare Größe in jeder Bar zu sein. Es existieren unzählige Klassiker, die ohne Chartreuse nicht das wären, was sie sind. Darüber hinaus wird auch gerade unter vielen Bartendern gerne einmal ein kleiner Shot Chartreuse verte pur genossen und man findet die grüne und die gelbe Flasche von New York über London bis Tokyo quasi überall als selbstverständlichen Bestandteil des Spirituosensortiments. Mit dem heutigen Artikel möchte ich hier auch ausdrücklich meinen Hut vor dieser Erfolgsgeschichte ziehen. Und das tue ich gerne, denn ich schätze Chartreuse als Zutat ungemein!
Aber ich will hier nicht einfach ein unreflektiertes Loblied auf den französischen Kräuterlikör singen, ich möchte auch in gewohnter Manier einen Blick auf zwei in diesem Zuge äußerst spannende Abfüllungen werfen. Denn neben den beiden Standardabfüllungen und dem bereits erwähnten Élixir Végétal de la Grande Chartreuse existieren tatsächlich auch noch andere Flaschen mit dem Namen Chartreuse auf dem Etikett. Eine davon ist der Chartreuse Liqueur du 9° Centenaire, die andere – passend zum heutigen Tag – der Chartreuse 1605 – Liqueur d’Elixir.
Beginnen möchte ich mit letzterer, allein schon, weil doch heute ihr vermeintlich Ehrentag ist. Streng genommen lag der Ehrentag dieses Likörs allerdings im Jahr 2005, denn damals hat man ihn erstmalig produziert – natürlich im Andenken an das Jahr 1605, er ist also quasi die 400-Jahre-Jubiläumsflasche. Mit 56% vol. hat man es hier mit einer erfreulich kräftigen Abfüllung zu tun, die allein dadurch schon ein aromatisches Feuerwerk verspricht. Der erhöhte Alkoholgehalt ist dabei laut Hersteller an die gängigen Trinkstärken der Liköre zu Zeiten von Marschall François-Annibal d’Estrées angelehnt (dessen Name für mich, der nicht des Französischen mächtig ist, eine echte Herausforderung auf der Tatstatur darstellt, von der Aussprache will ich gar nicht erst reden).
Es ist wirklich kein Leichtes, Verkostungsnotizen über die heutigen Flaschen zu verfassen, denn die grundlegende Kräuterrezeptur ist unbekannt, das Profil der unterschiedlichen Abfüllungen trotz der Unterschiede durchaus erkennbar nah beieinander. Insofern ist es nur bedingt sinnig, ausschließlich die verschiedenen, konkreten Assoziationen hier aufzuführen (was ich trotzdem versuchen werde). Vielmehr scheinen gerade die eher abstrakten Unterschiede der verschiedenen Abfüllungen von außerordentlicher Bedeutung zu sein. Und natürlich ihr Vergleich mit den beiden Standardabfüllungen, denen sie nahestehen.
Tasting Notes „Chartreuse 1605 – Liqueur d’Elixir”:
Aroma: Kräuter, Kräuter, Kräuter! Die Programmatik ist so geradeheraus wie gleichsam komplex, denn hier einzelne Nuancen zu isolieren, ist gar nicht so einfach. Ich finde Minze, Wermut, Rosmarin, Fenchel, Kamille, etwas Kiefernnadeln, Basilikum, Salbei – jeweils miteinander verschwimmend und nur selten isoliert aufblitzend. Das Aromenspiel wird dabei von einer außergewöhnlichen Harmonie getragen, die den Kräuterlikör so einzigartig macht. Die Süße des Likörs ist stark von Honignoten geprägt, ein wenig dunkler Kandis spielt mit hinein, vor allem ist es aber eine warme, tiefgehende Süße, die bereits in der Nase gefällt.
Geschmack: Kraftvoll, voluminös, dabei vielschichtig und mit einer schweren Süße, die den Alkohol wunderbar umrahmt, so tritt der Chartreuse 1605 hier an. Er trägt die bekannte, volle Kräuterattacke mit der Grazie eines Floretts vor und weiß dabei zu begeistern. Auch hier sind die genannten Kräuter erkennbar, begleitet von Honig und miteinander verwoben. Trotz all der Süße schwingt eine gewisse Trockenheit mit, die dem Likör einen noch erwachseneren und ausdifferenzierteren Schliff verpasst. Gefällt mir ausgesprochen gut!
Abgang: lang und kräutrig
Im Vergleich zur klassischen Chartreuse verte ist der Chartreuse 1605 – Liqueur d’Elixir etwas vielschichtiger, er weist gewisse Unterschiede in der Akzentuierung einzelner Kräuter auf und fällt ein klein wenig trockener aus. Er ist ähnlich kraftvoll und voluminös – im Endeffekt bietet er sich vor allem für Fans des Chartreuse verte an, die nicht zu weit von ihrem Favoriten abweichen wollen, aber eben doch etwas Neues suchen. Mir gefällt er ausgesprochen gut, weshalb ich ihn auch direkt in meinem Lieblingsdrink mit Chartreuse verte eingesetzt habe: dem Last Word.
Rezept „Last Word (1605 Version)“
2 cl Chartreuse 1605 – Liqueur d’Elixir
2 cl Gin
2 cl Maraschino
2 cl Limettensaft
Zubereitung: Alle Zutaten im Shaker auf Eis kräftig schütteln und ins vorgekühlte Glas abseihen.
Glas: Coupette / Cocktailschale
Garnitur: keine
Zum anderen ist da der Chartreuse Liqueur du 9° Centenaire. Diese Abfüllung existiert bereits seit 1984, abermals als Jubiläumsflasche und zwar für den 900. Geburtstag des Kartäuserodens. In der großen Kartause wird historisch eben auch groß gedacht. Wenig verwunderlich, wenn man auf ein solch stolzes Alter und die entsprechende Geschichte zurückblicken kann. Die Flasche dieser Abfüllung ist vom Design an die Chartreuselikörabfüllungen des 18. Jahrhunderts angelehnt, ihr Inhalt weist im Vergleich zum 1605er lediglich 47% vol. auf. Er reift mindestens 5 Jahre in Eichenfässern.
Tasting Notes “Chartreuse Liqueur du 9° Centenaire”:
Aroma: Ok, ich komme mir zwar etwas albern dabei vor, es erneut zu schreiben, aber natürlich sind da zunächst Kräuter, Kräuter und wieder Kräuter! Anis, Zitronenmelisse, Minze, Wermut, Rosmarin, Salbei, Fenchel, auch Basilikum kann ich finden, dazu etwas Pfeffer und natürlich eine schöne Honigsüße. Im Vergleich zum 1605 wirkt er sanfter, die Süße etwas vordergründiger, aber der typische Chartreuse-Charakter bleibt auch hier erhalten.
Geschmack: Sanfter, etwas weicher, aber dennoch kraftvoll mit der vollen Ladung Kräuter, Honig und einem ganz leichten, aromatischen weißen Pfeffer. Tatsächlich lässt sich das Geschmacksbild als eine Art Hybrid aus Chartreuse verte und Chartreuse jaune beschreiben.
Abgang: süß, kräutrig, ebenfalls lang anhaltend
Im Vergleich zu Chartreuse jaune hat man es hier eindeutig mit einem voluminöseren und kraftvolleren Vertreter zu tun, der nicht so stark wie Chartreuse verte daherkommt, dafür aber vielschichtiger und ungemein interessant. Vor allem für all jene, die ihren Chartreuse jaune-Drinks einen Hauch mehr Komplexität und Kraft mitgeben wollen, ohne sie dabei zu sehr zu verfälschen oder schlicht zur grün etikettierten Flasche zu greifen.
Genau in diesem Sinne habe ich meinen Chatreuse jaune-Favoriten, den Widow’s Kiss mit dem Chartreuse Liqueur du 9° Centenaire ausprobiert – und war begeistert!
Rezept „Widow’s Kiss (9° Centenaire Version)“:
4,5 cl gereifter Calvados
2,5 cl Chartreuse Liqueur du 9° Centenaire
2 cl D.O.M. Bénédictine
2 Dashes Angostura
Zubereitung: Alle Zutaten im Rührglas auf Eis kalt rühren und ins vorgekühlte Glas abseihen.
Glas: Goblet
Garnitur: Griottineskirsche
Um es gleich heraus zu sagen: Ich finde beide Abfüllungen wirklich sehr geil! Wie oben bereits erwähnt, bin ich ohnehin ein großer Fan der Chartreuseliköre und empfinde diese beiden Flaschen als eine absolut tolle Gelegenheit, die Geschmackspalette noch zu erweitern, die man mit dem französischen Kräuterelixir bedienen kann. Zur Orientierung mag es wenig verwundern, den Chartreuse 1605 – Liqueur d’Elixir vor allem als Alternative zum klassischen Chartreuse verte zu sehen. Entsprechend ist der Chartreuse Liqueur du 9° Centenaire eher eine Möglichkeit, anstelle von Chartreuse jaune neue Akzente zu setzen. Aber natürlich gilt das keinesfalls pauschal. Meine beiden Chartreusefavoriten, der Last Word und der Widow’s Kiss, funktionieren jedenfalls beide auch hervorragend mit den jeweiligen Spezialabfüllungen, über die ich hier heute berichtet habe.
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir diese Produkte zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.
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