Travelling Bars (4): The Artesian in London

Artesian (1 von 1)

Heute soll es also um nicht mehr und nicht weniger als die beste Bar der Welt gehen. Zumindest wenn man dem vom Drinks International Magazine herausgebrachten Ranking Glauben schenken mag. Aber auch wenn sich über einzelne Platzierungsunterschiede sicherlich streiten lässt, so muss man dennoch attestieren, dass eine Bar es nicht mal eben so in diese Rangliste schafft. Schon gar nicht nach ganz vorne. Somit hält das Artesian in London also einen Titel inne, mit dem natürlich auch gewisse Verpflichtungen einhergehen.

Das Artesian befindet sich im Erdgeschoss des Londoner Langham Hotels am Portland Place im Marylebone-Viertel in London. Das Hotel ist unverfehlbar direkt am Platz gelegen und im Gegensatz zu einigen Skybars oder versteckten Speakeasys muss man auch nicht erst irgendwelche Hintertreppen oder Aufzuglabyrinthe hinter sich bringen, sondern kann quasi direkt nach dem Betreten der Hotellobby schon den Eingang der Bar sehen. Als wir dort eintrafen, wurden wir direkt äußerst freundlich vom Personal des Artesians begrüßt und gefragt, ob wir einen Platz an der Bar oder an einem der Tische wählen möchten. Wir entschieden uns zunächst für die Bar, die allerdings keine freien Sitzplätze mehr aufwies, so dass wir nach einem anstrengenden Tag, der vor allem darin bestand, die britische Hauptstadt per Pedes zu erkunden, dann doch die Gelegenheit, beim Zubereiten der Drinks zuzusehen, verstreichen ließen und uns für einen Sitzplatz entschieden. Im Hinblick auf die dort hergestellten Drinks bereue ich die Entscheidung ein wenig, allerdings schmälerte das in keiner Weise das Erlebnis vor Ort, denn der Besuch sollte ein wirkliches Erlebnis werden.

Bei unserem Besuch im Jahr 2014 brachte uns der sehr aufmerksame und höfliche Kellner die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Signature-Cocktailkarte des Hauses, das sogenannte „Butterfly-Wheel“. Dabei handelte es sich um ein metallenes Rad, in dessen Inneren sich eine rotierende Scheibe befand, mit der man die Drinks des Hauses durch ein kleines Sichtfenster im Metallrund der Reihe nach anschauen konnte. Neben dem Namen waren wie üblich die enthaltenen Spirituosen angegeben.

artesian

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

 

Die Bar selber ist klassisch elegant gehalten: Schwere Kronleuchter hängen von der Decke, die Bar selbst ist offen arrangiert und versprüht einen viktorianischen Charme. Im recht geräumigen Gästeteil befinden sich Tische und Ledercouchen, es läuft „chillige“ Loungemusik.

Die Bartender des Hauses, Head Bartender Alex Kratena und Assistant Head Bartender Simone Caporale (den manche vielleicht aus Jamie Olivers Food Tube kennen), setzen bei den angebotenen Cocktails wirklich neue Maßstäbe. Es werden sehr hochwertige Zutaten und einige Barklassiker in z.T. ungewöhnlichen Kombinationen angeboten, bei denen das Zusammenspiel von Geruch, Geschmack und Sensorik in einer Weise perfektioniert wurde, die ihresgleichen sucht. Man merkt schnell, dass man es hier mit dem Sternerestaurant unter den Bars zu tun hat.

Meine Frau entschied sich für den wirklich hervorragenden Drink Aqui Estoi, bestehend aus Don Julio Blanco Tequila, Taylor’s Velvet Falernum, Limettensaft, Mezcal Chichicapa, Shisho und Rosenwasser. Eine wahrhafte Offenbarung an Aromenvielfalt, die irgendwo zwischen Blumengarten, rauchiger Mystik und exotischer Frische einzuordnen ist. Serviert wurde der Aqui Estoi in einem Totenschädel, dessen Augen mit Rosen gefüllt waren. Eine im mexikanischen Barumfeld häufig anzutreffende Anspielung auf den Día de los Muertos, wie uns die mexikanisch-stämmige Kellnerin geduldig erklärte, die den Drink an unseren Tisch brachte. Ein wirklich extravagantes „Gimmick“ des Drinks ist jedoch der Sombrero, den der Totenkopf zunächst auf seinem Haupt trägt. Darunter befindet sich eine Limettenscheibe, auf der brennender chinesischer Zimt seinen wohlriechenden Rauch am Tisch verbreitet, sobald der Sombrero gelüftet wird. Ein Trick, der wirklich Eindruck gemacht hat und den ich seitdem auch schon einige Mal in unterschiedlichen Kontexten benutzt habe (so z.B. bei Chantico’s Chocolate)

Aqui Estoy (1 von 1)

Meine Wahl fiel hingegen auf den Above & Beyond, einen Cocktail mit dem Versprechen komplexer und dunkler Bitternoten, gemixt aus Zacapa Rum, 30-jährigem Pedro Ximenez, Fernet Branca, Créme de Banana und Mandarinen Bitters. Auch dieser Cocktail wurde nicht einfach so serviert: Man erhält einen klassischen Tumbler, in dem sich der Drink auf einem großen, handgemeißelten Eiswürfel befindet. Darüber „schwebt“ gewissermaßen ein mit aromatisierter Luft gefüllter Bratschlauch, in dem sich ein kleines Säckchen mit Guatemaltekischen Sorgenpüppchen befindet. Der Kellner fragte mich, ob dies mein erster Above & Beyond sei und ob er das Luftkissen für mich öffnen solle oder ob ich das selbst tun möchte. Ich entschied mich natürlich dafür, es selbst zu versuchen und nach kurzer weiterer Anweisung stach ich mit einem Finger den Schlauch auf und der Kellner ließ vorsichtig die mit Eukalyptus- und Wurzeltönen aromatisierte Luft in meine Richtung entweichen. „To bring you in the right mood for the drink.“ Der intensive Duft war wirklich betörend und ich erinnere mich, dass ich eine Gänsehaut ob dieses gastronomischen Erlebnismoments bekommen habe. Alles passte wirklich hervorragend und der Above & Beyond hielt, was er versprach: Dunkle Komplexität, ein vielschichtiges Aromenspiel, wie ich es liebe.

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

Im Anschluss hatten wir noch einen Love Tricks Cocktail, eine ebenfalls wundervolle Mixtur aus Linie Aquavit, Tio Peppe Fino Sherry, Zitronensaft, Zedernholzsirup und Angostura Bitters, die in einer zuckerüberkrusteten Champagnerflöte mit rot bemalten Lippen aus weißer Schokolade serviert wurde, sowie einen gerade neuen Cocktail namens The Digidiva, der aus Elyx Wodka, Fino Sherry, Aqua die Cedro, Zypressensirup, einer Zitronensäure-Lösung und Soda besteht. Dieser Drink wurde in einem horizontalen Gefäß serviert, in das allerlei Blumen und Kräuter zur Aromatisierung gesteckt worden sind. Eine absolute Augenweide! (Die Digidiva ist übrigens benannt nach den zahlreichen Londoner Mädels, die ohne ihr Smartphone nicht mehr wirklich etwas mit sich anzufangen wissen und daher ständig damit herumhantieren und sich selbst inszenieren. Digidivas eben. Wer eine Digidiva nachmixen will, kann dies mit Hilfe des auf Mixology.eu veröffentlichten Rezeptes tun. Auch wenn dafür einiges an Aufwand von Nöten ist.)

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

digidiva_cocktail

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

 

Auch wir merkten bei unserem Besuch schnell, dass man es beim Artesian mit einem echten Schwergewicht zu tun hat. Der vielleicht wirklich zurzeit besten Bar der Welt. Gerne hätten wir noch den Rest der Karte rauf und runter probiert, doch ist das bei hochprozentigen Getränken natürlich irgendwann nicht mehr wirklich ratsam und bei einem Cocktailpreis von im Schnitt 17 Britischen Pfund pro Drink kommt einen das natürlich auch nicht ganz günstig zu stehen.

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

(Bildquelle: http://www.artesian-bar.co.uk)

Natürlich serviert das Artesian auch exzellentes Essen und die dort angebotenen Snacks sind ebenfalls sehr empfehlenswert.

Kurzum: Wer nach London reist, sollte einmal einen Drink im Artesian trinken. Man vergisst es sein Leben lang nicht.

(Inzwischen hat das Artesian auch einen Ableger in der chinesischen Metropole Hong Kong eröffnet.)

2 thoughts on “Travelling Bars (4): The Artesian in London

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