Als Freund handwerklich gemachter und qualitativer Spirituosen hat man es mitunter nicht unbedingt leicht. Die Auswahl ist einfach gigantisch groß und nicht immer fällt man vor diesem Hintergrund sofort und intuitiv die Entscheidung für das richtige Getränk im richtigen Moment: Wonach steht mir gerade der Sinn? Was passt zum Ambiente? Was zur Jahreszeit oder dem Wetter? Möchte ich eher etwas leichtes, florales? Oder doch eher etwas kräftiges? Gar rauchiges? Ja, manchmal kann es wirklich hart sein. (zugesandtes Testprodukt)*
Spaß beiseite: Tatsächlich ist es nicht immer einfach, eine passende Spirituose für jemanden zu finden. Besonders dann, wenn die Person keine bereits festgefahrenen Präferenzen besitzt, kann es schon ein geduldiges Erfragen und Ausprobieren erfordern, bis jemand die passende Spirituose entdeckt hat. Scotch Single Malt Whisky ist dann meist die Gattung, die mit als erstes vorgeschlagen wird, dicht gefolgt von Rum. Bei Gin fällt es den meisten noch immer schwer, ihn losgelöst aus dem Schatten des Tonics zu betrachten. In letzter Zeit ist es aber – zu meiner ausgesprochenen Freude – mehr und mehr auch Rhum Agricole, der sich als eigene Quasikategorie aus der diffusen Masse der Rums heraushebt und nachgefragt wird. Für mich persönlich ist aber zuletzt auch immer öfter eine Spirituosengattung ganz weit vorne, die im Grunde auf eine so erhabene Tradition zurückblickt, dass man sich über ihr Comeback gar nicht so sehr wundert. Und obendrein ist sie auch eine erstklassige Cocktailzutat, die besonders um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert in zahlreichen Rezepturen auftaucht: ich denke an den guten, alten Cognac.
Tatsächlich möchte ich hier eine kleine Lanze dafür brechen, Cognac selbst auch einmal wieder eine Chance zu geben. Noch immer haben viele ihn irgendwann einmal probiert und dann wieder vergessen. Dabei kann ein guter Cognac der ideale „Missing Link“ sein zwischen beispielsweise eher kraftvollem Scotch und einem verpielt-süßlichen Rum. Wer beispielsweise ungesüßte Kubaner mag oder sich in der Speyside zuhause fühlt, für den ist der Weg zum Cognac vielleicht naheliegender als manch einer denkt. Aber genug im Allgemeinen herumgeschwärmt, nun soll es doch auch etwas konkreter werden. (Wer übrigens einige kurze Grundinformationen über Cognac sucht, dem sei ein Blick in diesen Artikel hier ans Herz gelegt.)
Die Flasche, die heute im Mittelpunkt steht, ist der Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2. Und vielleicht wird mich mancher nun für verrückt erklären, aber bei dieser Abfüllung handelt es sich gar nicht um einen Cognac. Warum also die ganze Einleitung? Nun, die Antwort ist relativ schnell gegeben: Es handelt sich „quasi“ um einen Cognac. Juristisch ist diese Erklärung zwar vermutlich nicht haltbar, aber gemäß der bestehenden und strengen AOC-Regeln darf ein Cognac eben nur in französischen Eichenfässern reifen. Der Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2 hat aber u.a. auch Zeit in Kastanienholzfässern verbracht – und deshalb ist es eben kein Cognac, sondern ein Eau de Vie de Vin (wenn man bedenkt, was manch ein Rum so alles an Zusatzstoffen enthält und trotzdem Rum heißen darf, wirkt diese definitorische Akkuratesse hier fast schon spitzfindig). Zunächst handelt es sich aber um einen Blend aus verschiedenen Ugni-Blanc-Cognacs mit einem Alter zwischen fünf und sieben Jahren, die zunächst in neuen 350-Liter-Eichenfässern und später in bereits gebrauchten Cognacfässern (ebenfalls 350 Liter) sowie einem kleinen Anteil 25-jährigen Cognac. Das besagte und definitorisch bedeutsame Kastanienfassfinish (225 Liter Fassungsvermögen) erfolgt dann zuletzt für ein Jahr. Abgefüllt wird schließlich mit stattlichen 47,1% vol. Na, wenn das mal nicht vielversprechend klingt!
Tasting Notes:
Aroma: Ein wahnsinnig feines, aromatisch ausbalanciertes Aroma zeigt sich. Überreife Birnen, Honig, Vanille, ein Hauch Zimt, gekochtes Steinobst, Orangenschalen und tatsächlich auch etwas Pflaume sind zugegen. Trotz der 47,1% vol. steigt nicht der Hauch von alkoholischer Schärfe aus dem Glas auf. Nach einiger Zeit kommen Assoziationen von Maronen, geröstetem Brot und Weintrauben auf. Ein komplexes und hervorragend ausbalanciertes Bouquet, das der Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2 hier bietet.
Geschmack: Wow! Auch geschmacklich ist das hier ganz große Kunst! Der gelungen eingebundene Alkohol trägt Noten von Birnenkompott, Honigbrot, Trockenfrüchten, Zimt, Muskatnuss und Karamell mit sich. Eine subtile Schokolade und kandiertes Obst lassen Bilder eines goldenen Spätsommerabends entstehen – sicherlich auch der richtige Rahmen für das flüssige Gold in dieser Flasche.
Abgang: sehr lang anhaltend, mit Birnen, Kastanienfassnoten und Gewürzen
Natürlich ist dieses Eau de Vie de Vin eine für den Purgenuss mehr als geeignete und letztlich auch konzipierte Spirituose. Aber – und hier kann ich mich im Wortlaut meinem Bloggerkollegen Matthias Friedlein von Augustine-Bar anschließen – es ist eine häufig anzutreffende Fehlannahme, hochwertige Sippingspirituosen eigneten sich nicht für Cocktails. Natürlich wäre es hier fatal, einen Sour zu kreieren oder gar den Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2 in einem Punch zu versenken, aber wenn man sich an weiteren, ebenfalls hochwertigen Zutaten orientiert, bietet sich mit dem Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2 die Gelegenheit, einen wirklichen tollen, komplexen und vielschichtigen Cocktail zu erschaffen. Und das auch in den eigenen vier Wänden. Genau solch einen Drinkvorschlag möchte ich im Folgenden unterbreiten.
Der Drink hört auf den Namen Dark as Night und stammt von Ryan Casey aus dem Dewberry Hotel in Charleston. Ich mag diesen Cocktail wirklich sehr gerne, weil er ein absolut tolles Zusammenspiel von Cognac, hochwertigem Wermut (im Original wird Mancino Chinato verwendet – ich nutze hier lieber meinen heißgeliebten Carpano Antica Formula) und eher selten anzutreffendem Nocino (einem italienischen Walnusslikör) bildet. Die Aromen greifen wunderbar ineinander über und der Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2 ist hier mehr als ein vortrefflicher Hauptdarsteller! Im Originalrezept wird nicht nach dem Einsatz von Bitters verlangt, ich persönlich mag es aber, hier noch einen Dash Black Walnut Bitters mit beizugeben. Ich finde, er ergänzt die Süße des Nocinos noch um eine Nuance, durch die der Cocktail gewinnt.
Rezept „Dark as Night“ (von mir adaptierte Version):
6 cl Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2
2,25 cl Carpano Antica Formula
0,75 cl Nocino
1 Barlöffel Zuckersirup
1 Dash Black Walnut Bitters
Orangenzeste
Zubereitung: Alle Zutaten auf Eis kalt rühren und über ein großes Stück Eis ins vorgekühlte Glas geben. Zuletzt mit dem Öl der Orangenzeste besprühen.
Glas: Cognacschwenker
Garnitur: keine
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online. Preislich liegt der Pierre Ferrand Renegade Barrel No°2 im Bereich um die 70 Euro.
*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.