Pure Spirits: Alpestre & Le Mer de Glace

Italienische Kräuter- und Bitterliköre habe ich in diesem Jahr bereits einige hier im Blog vorgestellt. Überhaupt scheint kaum ein Land eine so vielschichtige Tradition in diesem Bereich aufzuweisen wie Italien. Amari (Plural von Amaro) sind aus der italienischen Kultur genau so wenig wegzudenken wie sie es inzwischen aus der internationalen Barwelt sind – und das aus gutem Grund, denn sie bilden nicht nur elementare Grundzutaten in großen Cocktailklassikern, sie bereichern vor allem mit ihrer breiten Aromenpalette das Repertoire an Möglichkeiten. (zugesandtes Testprodukt)*

Was Amari sind (und auch, inwiefern Eingrenzungsschwierigkeiten dieses Begriffes bestehen) habe ich in einem anderen Zusammenhang bereits etwas ausführlicher behandelt, weshalb ich mich hier nicht mehr groß mit terminologisch-definitorischen Grundgedanken befassen möchte. Stattdessen steht einmal mehr ein italienischer Kräuter“likör“ im Mittelpunkt des heutigen Artikels: der sogenannte Alpestre.

Bereits das Erscheinungsbild der Flasche verrät uns einiges über diese Abfüllung. Augenscheinlichstes Merkmal ist sicherlich die Farbe des Alpestre, die von einem hellen, transparenten Honigton gekennzeichnet ist. Hier unterscheidet sich der Alpestre also ganz offensichtlich von dem Gros der am Markt verfügbaren Amari. Viel wesentlicher scheint aber ein Hinweis auf dem Etikett zu sein, der ein ganz anderes Licht auf diese Spirituose wirft: „Senza Zucchero“ steht dort zu lesen, was nichts anderes als „ohne Zucker“ bedeutet. Tja, wie kann ein Likör nun ohne Zucker hergestellt worden sein? Die Antwort ist recht schlicht: es handelt sich überhaupt nicht um einen Likör, sondern um ein Kräuterdestillat. Wir haben es also nicht einfach nur mit einer sich durch die Kräuterrezeptur unterscheidenden Spirituose zu tun, sondern eben mit einem Destillat, das wirklich aus der Reihe seiner kräutrig-italienischen Verwandten tanzt.

Stichwort „Kräuter“: 34 an der Zahl finden ihren Weg in den Herstellungsprozess des Alpestre und der Hersteller betont hier, dass kein Zucker oder andere Zusatzstoffe verwendet werden (verraten wird dabei, dass Thymian, Wermut, Lavendel, Engelwurz, Fenchel, Rainfarn, Salbei, Minze, Melisse, Zitronenstrauch und Kamille mit von der Partie sind – wäre Wacholder darunter, dürfte der mit 44% vol. abgefüllte Alpestre sich folglich sogar Gin nennen). Die honiggelbe Farbe ist also offenkundig nicht das Ergebnis von Farbstoffen, Honig oder anderen Süßungsmitteln, sondern ergibt sich vielmehr durch eine Fassreifung in slawonischen Eichenfässern in Campagnola, wo der Alpestre produziert wird. Über die genaue Länge der Reifung erfährt man nichts (außer der Marketingformulierung „über einen langen Zeitraum“ – und da wir auch nichts Näheres über die slawonischen Fässer wissen, lässt sich auch aus der Farbe des Destillats kaum ablesen, wie lang dieser Zeitraum wirklich gewesen ist).

Ach und apropos Marketing: Die Geschichte rund um den Alpestre erzählt von einem Maristen-Mönch namens Bruder Emanuel, der 1857 den Alpestre erstmalig nach einem geheimen Rezept zubereitet haben soll (meine kurze Recherche hat mir verraten, dass es sich bei den Maristen um eine Gruppe von Ordensgemeinschaften handelt, die Anfang des 19. Jahrhunderts vom französischen Mönch Jean-Claude Colin gegründet wurde). Natürlich wissen wir aus vielen ähnlichen Geschichten, dass die heutige Zubereitungsweise nicht zwangsläufig exakt jenem Geheimrezept der Gründertage entsprechen muss, aber vielleicht ist das beim Alpestre ja tatsächlich der Fall (im Zweifel darf man sich das in seiner Fantasie jedenfalls so vorstellen). Aber nun zum Wesentlichen!

Tasting Notes:

Aroma: Die Nase lässt sofort an einen intensiven Kräutertee denken, ein ganzer Blumenstrauß an Kräuteraromen eröffnet sich vor dem geistigen Auge. Kamille, Fenchel, Minze, Melisse, Lavendel, Thymian und Salbei finde ich sofort, weitere der verwendeten Kräuter sind ebenfalls zu finden, hier zeigt sich der ehrliche Charakter des Alpestre sehr eindrucksvoll.

Geschmack: Auch am Gaumen bleiben die Assoziationen von Kräutertee, die vom Alkohol auf eine sehr intensive Stufe befördert werden. Dabei fällt der Alkohol keinesfalls scharf oder beißend aus, sondern macht, was er tun soll: den Kräutern die Bühne bieten, um sie bestmöglich zur Entfaltung zu bringen. Wer wirklich ein unverfälschtes Kräuterdestillat wünscht, der wird mit dem Alpestre sicher schnell glücklich!

Abgang: langanhaltend, kräutrig, v.a. mit Kamille, Fenchel und Salbei

An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch noch weitere Abfüllungen in der Alpestre-Reihe existieren. Der Alpestre Riserva Speciale 1983 stellt eine deutlich länger gereifte Variante dar und mit dem Alpestre al Miele findet sich dann doch noch ein süßer Vertreter, der sein Geschmacksprofil der Zugabe von Akazienhonig verdankt. Ich erwähne die weiteren Abfüllungen vor allem deshalb, weil ich gewissermaßen einen der Signature Drinks zum Alpestre nachgemixt habe, obwohl dieser eigentlich auf den Alpestre al Miele zugeschnitten ist. Der klangvolle „Le Mer de Glace“ ist im Grunde eine Art aufgefizzter Julepcocktail mit Rosmarin und Minze, der mich sofort angesprochen hat. Würde man diesen aber nun mit dem regulären Alpestre zubereiten, so würde eben doch eine gewisse Süße fehlen. Ich habe daher einfach mit etwas Honigsirup gearbeitet. Ein schöner, kräutriger Cocktail, wie ich ihn liebe!

Rezept „Le Mer de Glace“ (von mir modifizierte Version):

6 cl Alpestre
1 cl Akazienhonigsirup (s.u.)
10 Minzblätter
1 Rosmarinzweig
0,25 cl Absinth
Sodawasser

Akazienhonigsirup: Einfach Akazienhonig mit Wasser im Verhältnis 1:1 in einer Pfanne kurz zum Köcheln bringen und etwas reduzieren lassen. Schließlich abkühlen lassen.

Zubereitung: Honigsirup und Kräuter in einen Julepbecher geben und mit dem Barstößel andrücken und die gesamte Innenwand des Bechers dabei ausstreichen. Schließlich mit gestoßenem Eis auffüllen, eine Eiskuppel formen, dann den Alpestre und zuletzt den Absinth von oben durch das Eis laufen lassen.

Glas: Silberbecher oder Tumbler

Garnitur: Rosmarinzweig und Minze

Bezugsquellen: Der Alpestre lässt sich z.B. über Conalco beziehen.

*Die Flasche für dieses Review wurde mir von der Conalco Spirituosen UG zur Verfügung gestellt. Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet jedoch nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.

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