Heute ist wieder einmal ein Gin an der Reihe. Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Gin, sondern um einen Old Tom Gin. Noch dazu sogar um einen gereiften Old Tom Gin. Und obwohl ich hier im Blog in der Vergangenheit schon so manchen Gin auf Herz und Nieren geprüft habe, habe ich bislang noch nicht über einen Old Tom Gin geschrieben. Was also ist jene ur-englische Ginkategorie eigentlich genau? Und können die Franzosen einen guten Old Tom Gin produzieren? (zugesandtes Testprodukt)*
Für die Entstehung des Old Tom Gins ist ein Blick in die Geschichtsbücher notwendig: Während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts grassierte in England die sogenannte Gin-Krise, v.a. unter dem englischen Namen „Gin Craze“ bekannt. Als Folge der wachsenden Beliebtheit von Gin und der ursprünglichen Steuerfreiheit auf das Brennen der Wacholderdestillate im 17. Jahrhundert entwickelte sich mehr und mehr ein gefährlicher Überkonsum in der englischen Gesellschaft. Und wie es Alkoholmissbrauch nunmal so an sich hat, sind die Folgen alles andere als harmlos: Verelendungserscheinungen, Krankheit und Tod hielten in einigen Gegenden und Gesellschaftsschichten vermehrten Einzug, so dass man auf Regierungsseite sich dazu gezwungen sah, etwas gegen diese Gin-Krise zu unternehmen.
Die Antwort waren Steuererhöhungen, Schanklizenzen und eine allgemein restriktive Politik gegenüber Brennereien, die schon damals einen ähnlichen Effekt erzielten, wie die berühmten amerikanischen Prohibitionsmaßnahmen im frühen 20. Jahrhundert: Die Menschen brannten ihren Alkohol schwarz oder umgingen die bestehenden Regeln auf kreative Art und Weise, um trotzdem ihre geliebten Destillate trinken zu können. Dies ist der Hintergrund vor dem die Geburtsstunde des Old Tom Gins zu verstehen ist. Einerseits aufgrund einer gewissen Geschmackspräferenz für leicht Süßliches, andererseits aber auch um z.T. die minderwertige Qualität schwarz gebrannter Gins zu übertünchen, entstand der Old Tom Gin als süßere Variante des Wacholderdestillats. Den Namen verdankt sie der kreativen Art und Weise der Darreichung: Um auch ohne Schanklizenzen Gin verkaufen zu können, etablierte sich in zahlreichen Etablissements der Brauch, unter meist gedengelten Straßenschildern mit der Form schwarzer Katzen (engl.: Old Tom) einen Schlitz anzubringen, durch den ein durstiger Passant eine Münze einwerfen konnte, während daraufhin aus einer Klappe ein Gin gereicht wurde. Unauffällig, effizient und definitiv kreativ. Als es mit der restriktiven Politik vorbei war, ging jedoch auch der Konsum des Old Tom Gins zurück und schließlich etablierte sich in England vor allem der London Dry Gin als vorherrschender Stil. Erst in den letzten Jahren bringen Brennereien vermehrt auch wieder Old Tom Gins auf den Markt. So auch die Marke Citadelle, denen ich bereits einen meiner ganz frühen Artikel im Zusammenhang mit dem Citadelle Reserve Gin gewidmet habe.
Der Citadelle No Mistake Old Tom kommt in einer sehr schönen Verpackung und Flasche daher, die nur so vor Informationen strotzt. Des Französischen sollte man dazu allerdings schon mächtig sein, wobei sich viele Begriffe auch ohne adäquate Sprachkenntnisse herleiten lassen. So erfahren wir neben dem aromatisch vielversprechenden Alkoholgehalt von 46% vol. gleich eine Menge über die verwendeten Botanicals und auch über die Art der Süßung, die die Franzosen so gern als „Dosage“ bezeichnen:
Neben Wacholder enthält der Citadelle No Mistake Old Tom Gin: Génépi (im Deutschen: Moschus-Schafgarbe), Mandeln, Paradieskörner bzw. Guineapfeffer, Iris, Kardamom, Zitrone, Zimt, Koriander, Muskatnuss, Kubebenpfeffer, Orangen, Sternanix, Veilchen, Yuzu, Fenchel, Kreuzkümmel, Kornblume, Gewürzrinde, Engelwurz, Lakritz und Bohnenkraut. Das ist doch mal eine imposante und offene Liste! Die Süßung wurde erzielt durch einen sogenannten „Aged Sugar“, ein karibischer brauner Zucker, der in Kupferbrennkesseln geröstet und karamellisiert wird und anschließend mit einer kleinen Menge Gin in Cognac-Fässern lagert. Mann, mann! Hier lässt man sich also nicht lumpen.
Der Citadelle No Mistake Old Tom Gin selbst reift nach der Destillation ebenfalls noch in Fässern und zwar für ca. sechs Monate.
Auf dem Papier definitiv vielversprechend. Nun aber ans Eingemachte.
Tasting Notes:
Aroma: Ein schöner Wacholder wird von intensivem Orangenduft begleitet. Citrusschalen, Kräuter und eine vernehmbare Veilchennote erzeugen einen überaus aromatischen und komplexen Ersteindruck, der mich wirklich begeistert. Eine schöne Süße wie von braunem Zucker mit einem leicht kräutrigen Einschlag rundet das Aroma dieses Old Tom Gins ab. Etwas Kiefer taucht im Hintergrund auf.
Geschmack: Würzig, kräutrig, intensiv! Auch hier beginnt alles genretypisch mit dem Wacholder und mündet schließlich in eine regelrechte Geschmacksexplosion am Gaumen. Selten haut mich ein Gin so vom Hocker, dieser hier aber tut es! Die „Dosage“ erzeugt eine Süße, die weit mehr bietet als nur eine Old Tom-gattungsspezifische zu sein. Die Citrustöne sind ebenfalls da, der Wacholder behält jedoch leicht die Oberhand. Hinter allem der aromatische „Aged Sugar“. Man bekommt sofort Lust auf den zweiten Schluck.
Abgang: würzig, intensiv und sehr lang
Diesen Gin in einem Cocktail einzusetzen, will gut überlegt sein. Er ist fast zu schade dafür, aber natürlich ist Gin per se eine mixbare Spirituose (wie eigentlich fast alle, wenn man es gut macht) und so ist auch diesmal ein Drink dabei herumgesprungen. Ich habe mich dazu entschieden, die schönen Orangentöne des Citadelle No Mistake Old Tom Gin aufzugreifen und ihn mit Florian Faudes Mandarinengeist in einem Cocktail namens „Once won’t hurt!“ zu kombinieren. Eigentlich ist es eine Art Old Fashioned, der aber untypischerweise mit Rosmarinzweigen geschüttelt wird. Das Ergebnis spricht für sich. Der Name ist übrigens zustande gekommen, weil ich finde, dass jeder einmal einen Fehler machen kann. Auch wenn dieser Cocktail definitiv kein solcher ist. Aber es wird sicher nicht schaden, ihn einmal zu probieren.
Rezept „Once won’t hurt!“:
4 cl Citadelle No Mistake Old Tom Gin
2 cl St. Germain Elderflower Liqueur
1 cl Faude Feine Brände Mandarine aus Sizilien
1 Dash Coriander Bitters
2 Zweige Rosmarin
Zubereitung: Zunächst Rosmarinzweige in den Shaker geben und mit dem Muddler andrücken. Dann restliche Zutaten und Eiswürfel hinzufügen und kräftig schütteln. Anschließend doppelt ins vorgekühlte Glas abseihen.
Garnitur: kleiner Rosmarinzweig
Glas: Goblet oder Martini
Bezugsquellen: Im Fachhandel oder online
*Der Umstand, dass mir dieses Produkt zu redaktionellen Zwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden ist, bedeutet nicht, dass in irgendeiner Weise Einfluss auf den Artikelinhalt oder meine Bewertung genommen wurde. Vielmehr ist es für mich stets unverrückbare Bedingung, völlig frei und unbeeinflusst rezensieren zu können.
Pingback: Green & White Negroni und The Green Fairy | Galumbi
Pingback: Pure Spirits: Citadelle Extrême Gin N° 2 Wild Blossom | Galumbi