Und wieder einmal ist es Zeit für Gin hier im Blog. Dass der Ginmarkt boomt, auch in Deutschland, ist natürlich längst eine Binsenweisheit und so verwundert eigentlich kaum noch eine Neuerscheinung oder Ginspielart, die man aktuell erstehen kann. Trotzdem lohnt es sich natürlich nach wie vor, sich näher mit der Materie zu beschäftigen und einen kritischen Blick auf neuerscheinende Flaschen zu werfen. Und die heutigen beiden Flaschen haben es mir wahrlich nicht schwer gemacht, denn während ich mit dem Edelstahl Dry Gin kürzlich noch einen Gin aus dem Ruhrgebiet vorgestellt habe, legen beide heutigen Flaschen aus meiner ganz persönlichen Sicht sogar noch eine Schüppe drauf, denn sie kommen aus meiner Geburtsstadt: aus Dortmund. (Zugesandtes Testprodukt)
Einen „Dortmund Dry Gin“ in den Händen zu halten, hätte ich lange Zeit als einen fast schon utopischen Wunschtraum bezeichnet, denn das Ruhrgebiet ist ja nicht unbedingt das Schlaraffenland des Spirituosenmarktes und der Barkultur (dazu habe ich u.a. auch im Artikel zum Edelstahl Dry Gin aus Hagen etwas ausgeholt), doch glücklicherweise ändert sich auch in diesen Bereichen inzwischen allmählich etwas. Natürlich ist man hierzulande trotzdem nicht gänzlich ahnungslos, was mitunter einige Traditionsbetriebe beweisen, die schon seit mehreren Jahrzehnten Weine und Spirituosen verkaufen und als Zentren profunder Fachkunde fungieren. Ein solcher Betrieb ist der Wein- und Spirituosenfachhandel Stendels im Dortmunder Kreuzviertel. Doch angefangen hat der Betrieb, wie so vieles in Dortmund, mit Bier. In den Nachkriegsjahren verkaufte der Gründer des Familienbetriebs, Wilhelm Stendel, an die durstige Dortmunder Bevölkerung den begehrten Gerstensaft und schuf so die Grundlage für ein zunächst erfolgreiches Geschäft. Man verlegte das Geschäft aus der Dortmunder Nordstadt in das Kreuzviertel, wo es bis heute am Vinckeplatz 8 liegt. Mitte der 70er Jahre kam es jedoch zu Differenzen zwischen den beiden Söhnen des inzwischen verstorbenen Gründers Wilhelm, Bodo und Wilhelm jun., und sein jüngerer Sohn Wilhelm jun. übernahm zunächst das Geschäft. Ab dem Ende der 80er Jahre stieg dann die heutige Inhaberin Gabriele Krösche, geb. Stendel und Tochter von Bodo und Apollonia Stendel mit in den Betrieb ein und das Sortiment erweiterte sich auf Wein, Whisky und Feinkostprodukte. Die seit 1998 zusammen mit ihrem Cousin dann als Geschäftsführerin tätige Gabriele Krösche zog sich 2001 jedoch nach Differenzen mit ihrem Cousin zunächst aus dem Geschäft zurück, um es schließlich doch noch im Jahr 2012 nach einer Neugründung gänzlich zu übernehmen. Inzwischen findet man dort neben einem internationalen Weinsortiment auch über 700 Whiskys, an die 100 Gins und 80 Rums, also ein stattliches Sortiment für alle Spirituosenfreunde. An den Wochenenden veranstaltet Stendels zudem schöne Tastingevents für interessierte Connaisseure (bei Interesse empfiehlt sich ein Blick auf die Eventankündigungen auf der Webseite des Unternehmens). So weit, so gut.
Nun mag man sich fragen, warum ich das alles hier erzähle und welche Relevanz genealogische Ausführungen zur Familie Stendel vor diesem Hintergrund haben. Doch tatsächlich besteht hier ein Zusammenhang. Aufmerksame Leser werden bereits die Namen Apollonia (Spitzname „Loni“) und Bodo bemerkt haben, also die Namen der Eltern der heutigen Inhaberin (Bodo Stendel ist inzwischen leider verstorben). Und nach eben diesen beiden sind auch die beiden Dortmund Dry Gins benannt, die ich heute hier vorstellen möchte.
Beide Abfüllungen sind dabei im Stile eines Dry Gins hergestellt, wobei hier tatsächlich die Grenzen der Gattungsbezeichnung etwas ausgereizt worden sind. Man wollte nämlich nicht einfach nur einen Dry Gin herausbringen, sondern gewissermaßen die Nähe zur klassischen Kategorie der Old Tom Gins suchen, in welchem sich im Vergleich eine deutlicher ausgeprägte Süße manifestiert. Beide Gins orientierten sich dabei auch ein wenig an zwei international erfolgreichen Gins, deren Namen aber nicht verraten werden. Ebenso geheimnisvoll bleibt die genaue Herkunft des Gins, denn man hat sich im Hause Stendel bewusst dazu entschieden, keine genauen Angaben über die Brennerei zu veröffentlichen, aus der der Gin stammt. Auch die Botanicals bleiben ein wenig im Dunkeln, doch hier muss man nicht erst einen renommierten Privatdetektiv engagieren, um zumindest die üblichen Verdächtigen des Genres erkennen zu können.
Die als Paar auftretenden Gins sind dabei natürlich nicht identisch, sondern bedienen unterschiedliche Aromenprofile: Während der Lonis Dortmund Dry Gin eher auf die mildere und sanftere Seite setzt, die vor allem eine reichhaltige Zitrone in den Vordergrund stellen soll, tritt der Bodos Dortmund Dry Gin eher mit dem Versprechen an, den kräutrig-wacholdrigeren Charakterzug des Dry Gins zu repräsentieren, ohne dabei jedoch die floralen und zitrusbetonten Züge zu vernachlässigen.
(Update: Inzwischen ist in Folge eines Deklarationsproblems die Bezeichnung Dortmund Dry Gin von den Flaschenetiketten verschwunden. Nunmehr ist dort die Formulierung „Gin für Dortmund“ zu lesen. Der Hintergrund ist hier, dass die Dortmunder Brennerei Krämer sich beschwert hat, im Gegensatz zum Dortmunder Krämer Gin werde der Bodos und der Lonis-Gin gar nicht in Dortmund gebrannt und dürfe daher diese Bezeichnung nicht tragen. Die Brennerei Krämer hat damit Recht – entsprechend nun also eine neue Bezeichnung.)
Wie meine Tasting Notes zeigen werden, haben mir beide Gins wirklich herausragend gut gefallen. Und das sage ich nicht, weil sie mir als gebürtigem Dortmunder besonders am Herzen liegen, sondern weil sie tatsächlich auch überraschend anders ausfallen, als ich es von vielen Gins in letzter Zeit gewohnt bin. Also ein aufrichtiges Kompliment ans Haus Stendels und eine nachdrückliche Kaufempfehlung für Ginfreunde. Beide Gins kommen in schönen Apothekerflaschen daher. Das Design ist eher schlicht, passt aber zum Ruhrgebiet.
Tasting Notes:
Lonis Dortmund Dry Gin (45% vol)
Aroma: Sofort zeigt sich eine reichhaltige Zitrone in der Nase, Wacholder ist spürbar, aber sehr zurückhaltend. Man vernimmt in den Zitronentönen eine schöne Komplexität, die sogar etwas in Richtung einer Limette übergeht. In diesem Zusammenhang habe ich deutliche Assoziationen von Zimt, etwas Veilchen und einen Hauch heller Frucht, wie etwa einer Quitte. Dahinter ganz subtil kräutrige Töne und minimale Kiefernoten.
Geschmack: auch hier sofort frisch und zitronig mit einer floralen Würze, fast schon wie bei einer Kräuterlimonade. Der Gin ist sehr mild (von Alkohol kaum eine Spur) und überraschend süß, fast schon mit Anklängen eines Likörs (ich musste mehrmals an Danziger Goldwasser denken, aber natürlich nicht im Ansatz so zuckrig und klebrig). Der Wacholderanteil ist super dezent, wer also aufgrund des Wacholderaromas bislang meinte, keinen Gin zu mögen, könnte vom Lonis Dortmund Dry Gin vielleicht noch einmal umgestimmt werden. Zudem finde ich Zitrusschalen, wieder etwas Zimt, Limette und vielleicht etwas Thymian.
Abgang: lang, mild und mit süßlich würzigen Zitrusaromen.
Der Lonis Dortmund Dry Gin ist über die Maße süffig und für den Purgenuss absolut empfehlenswert und geeignet. Ich habe ihn zudem in einem Gin & Tonic ausprobiert, wo ich mich für ein Goldberg Japanese Yuzu Tonic entschieden habe. Hier erlebt man ein wahres Symphonieorchester an Zitrusklängen, welches den Gin & Tonic fast schon neu definiert.
Bodos Dortmund Dry Gin (47% vol.)
Aroma: Auch hier eine überraschend deutlich ausgeprägte Zitrone, die mit der Zeit auch ein wenig in Richtung von Bitterorangenschalen ausschlägt. Dazu aber ein satterer und vollerer Wacholder; dennoch ist auch der Bodos Dortmund Dry Gin kein Gin, den ich voll auf der Wacholderseite verorten würde. Es mischen sich vielschichtige Kräutertöne mit waldig-moosigen Assoziationen dazu, zudem etwas Kiefer. Insgesamt bereits in der Nase spürbar kräftiger.
Geschmack: kräftigerer, aber immer noch milder und schön eingebundener Alkohol, gut ausbalancierter Wacholder und eine würzige Zitrone. Kräuternoten sind stärker und insgesamt fällt der Bodos weniger süß aus als der Lonis. Er bleibt aber dennoch süffig mit etwas Nelke und auch hier wieder Kiefernoten.
Abgang: lang, ausbalanciert und aromatisch mit abklingender Zitrone und subtiler Orange.
Auch der Bodos Dortmund Dry Gin wird Ginfreunde pur überzeugen, fällt aber deutlich klassischer aus als der Lonis. In einem Gin & Tonic habe ich ihn zusammen mit einem Fever Tree Mediterranean Tonic Water kombiniert, was mir sehr gut gefallen hat. Die kräutrig frischen Züge des Mediterranean Tonic Waters verbinden sich schön mit der zitronig-wacholdrigen Aromenfracht des Bodos, ohne ihm dabei zu viel seiner Eigenständigkeit zu nehmen.
Bezugsquellen: Beide Gins lassen sich über den Wein- und Spirituosenfachhandel Stendels am Vinckeplatz 8 in Dortmund erstehen.
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Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Michael Vollmer, Fleischermeister und Fleischsommelier.
Ich betreibe in dritter Generation in Dortmund eine Fleischerei mit Partyservive und würde gerne Ihren Gin anbieten. Es wäre sehr nett, wenn Sie mir diesbezüglich Infos, eine Großhandels Preisliste und ein Bestellformular zukommen lassen würden.
Beste Grüße,
michael Vollmer
Hallo Michael,
am besten Sie kontaktieren diesbezüglich die Firma Stendels. In diesem Blog habe ich lediglich einen redaktionellen Rezensionsartikel darüber geschrieben.