Wer im Zuge viel gelobter und qualitativ hochwertiger Bars vor allem an mondäne Designerläden denkt, die von experimentierfreudigen Innenarchitekten einmal nach allen Regeln des modernen Chics durchgestylt wurden, der wird vom Dead Rabbit in New York City wohl radikal überrascht sein.
Das Dead Rabbit liegt im Financial District in Lower Manhattan, ganz im Süden der Insel und ist in den leeren Straßen für den Ortsunkundigen zunächst gar nicht so einfach zu finden, da die Region abends nicht gerade als zweiter Times Square bekannt ist. Auf dem Weg dorthin passierten wir eher verlassene Straßenzüge, auf denen vereinzelt noch Reinigungsfahrzeuge unterwegs waren. Viele Banker bleiben nach Feierabend verständlicherweise nicht in ihrem Viertel, sondern strömen nach Hause oder in die notorischen Party-Areas von New York…. oder aber ins Dead Rabbit, wie wir noch feststellen sollten.
Nachdem wir endlich an der Water Street Nummer 30 eingetroffen waren, betraten wir erwartungsfroh die zu diesem Zeitpunkt vermeintlich drittbeste Bar der Welt (in jenem Jahr – 2013 – die „beste Bar ganz Nordamerikas“). Solche Rankings sind natürlich eine höchst subjektive Angelegenheit und nicht gänzlich ernst zu nehmen, aber man kann zumindest sicher sein, dass eine sehr hochplatzierte Bar in der Regel auch einiges zu bieten hat. So sollte uns auch das Dead Rabbit nicht enttäuschen, ganz im Gegenteil!
Das Innenleben des Dead Rabbit (genauer des Taprooms, s.u.) sah überraschenderweise aus wie ein Irish Pub. Ein wirklich verdammt cooler und uriger Irish Pub. Gut, wenn man bedenkt, wie sich das Dead Rabbit stilistisch aufstellt, ist das eigentlich gar nicht so überraschend, aber da wir an diesem Abend zuvor keine großartige Recherche betrieben hatten, waren wir doch ziemlich überrascht. Ich muss zudem gestehen: ich liebe gute (!) Irish Pubs. Mir sagt die Kneipenkultur im anglo-hibernischen Raum ohnehin sehr zu. Die zumindest in den meisten deutschen Städten beheimateten Eckkneipen sind da einfach nur ein trauriger Anblick gegen. Ein guter Irish Pub transportiert Gemütlichkeit, Urigkeit, ein gewisses „Einfache-Leute-Flair“ gepaart mit irischer (Aus-)Gelassenheit, ein gutes Repertoire an anglo-hibernischen Bier und Ale-Klassikern und jede Menge traditionellen Charme. Der Taproom des Dead Rabbits hat von alledem massig zu bieten.
Man betritt einen länglichen Schankraum mit einer die Länge des Raumes ausfüllenden Bar zu seiner Rechten und fühlt sich plötzlich wie in einer Szene aus „Gangs of New York“: Der Boden ist mit Sägespänen bestreut und die Decke ist über und über mit Schwarz-weiß-Fotografien zwischen zahlreichen Holzbalken verziert. Fotos und alte Plakatdrucke der irischen Einwanderungsgeschichte in New York zieren die Wände (darunter auch Fotos vom Set von Gangs of New York, die von Martin Scorsese signiert wurden). Hinter der Bar findet sich allerhand stilechter Nippes zwischen kleinen Schränkchen, Spirituosenflaschen und Bieren. Es ist laut und voll im Laden, daher ist es zunächst auch gar nicht so einfach, einen der Stehtische oder einen Platz an der Bar zu ergattern. Die meisten der oft noch in Business-Suits gekleideten Besucher genießen gerade ein oder mehrere Feierabendbiere und läuten das Wochenende ein.
Wir haben allerdings Glück und erwischen zwei Plätze an der Bar (wo ich eigentlich ohnehin am liebsten Sitze, weil man von dort den Barkeepern schön bei ihrem Handwerk zusehen kann) und werfen erstmal einen Blick auf das Angebot. Es finden sich zahlreiche Bier- und Whisk(e)ysorten darauf (was ja auch zu erwarten war), darunter auch einige Biercocktails und zudem noch einige Highballs und Mixed Drinks.
Wie man erst bei näherer Erkundung herausfindet, besteht das Dead Rabbit aus mehreren Räumen unterschiedlichen Ambientes: Der oben beschriebene Taproom wird noch von einem ein Stockwerk höher liegenden Salon (The Parlor) ergänzt. Dieser Raum ist quasi die eigentliche Cocktailbar des Dead Rabbit: ein Salon im Stil des 19. Jahrhunderts. Ebenfalls im traditionell-hölzernen Stil, aber – keine Frage – auch absolut cool, wie wir fanden. Dort fällt das Angebot an klassischen Drinks dieser Epoche schon deutlich größer aus. Zudem bietet das Dead Rabbit mit einem kleinen angelagerten Shop (The Grocery) noch jede Menge Produkte für zu Hause an: Marmeladen, Brotaufstriche, Salze, Saucen usw. Denn auch das kulinarische Angebot in Taproom und Parlor kann sich sehen lassen: Von raffinierten Häppchen über Austern bis hin zu Rippchen, Stews und anderen Klassikern ist alles dabei. Jeweils solide bis kunstvoll dargeboten und qualitativ über jeden Zweifel erhaben.
Meine Frau und ich haben uns für einen Black Widow und einen Old Mule Skinner entschieden. Beides wirklich perfekt abgestimmte Drinks, die mit 14$ nicht übertrieben teuer waren (verglichen mit anderen Etablissements mit ähnlichem Renommee). Der Black Widow bestand aus Jameson Black Barrel Irish Whiskey, Vanille (ich vermute ein hausgemachter Vanillesirup), Walnuss (hier tippe ich auf Walnusslikör), Honig, Zitronensaft & Chocolate Bitters. Das Gesamtergebnis war ein sehr runder Drink mit „warmen“ Geschmackskomponenten zwischen Whiskyfass, Nüssen und der süßlichen Frische herbstlicher Desserts. Dem gegenüber trumpfte der Old Mule Skinner mit Old Forester 100 Proof Bourbon, gelber Chartreuse, Papaya, Limettensaft, Honig, und hauseigenen Tiki Bitters auf, was ihm insgesamt natürlich einen sehr exotischen Anstrich verlieh. Tikicocktails sind ja eigentlich nicht wirklich mein Favorit, aber ich hatte zuvor dem Barkeeper beim Zubereiten eines dieser Drinks zugesehen und war davon begeistert, wie handwerklich versiert er dabei vorging. Dadurch habe ich einfach Lust bekommen, genau diesen Cocktail zu probieren. Und was soll ich sagen? Er schmeckte ausgezeichnet!
Im weiteren Verlauf des Abends habe ich noch einen einfach Biercocktail, genannt Pop-Inn getrunken, der aus einem leicht gehopften Peekskill Simple Sour Ale und Ingwerlikör bestand. Pop-Inns sind eine Tradition aus dem 17. Jahrhundert, die im traditionsverwurzelten Dead Rabbit einen guten Konservierungsplatz gefunden hat. Auch wir hätten uns gern im Dead Rabbit konservieren lassen, aber da wir uns keineswegs betrinken wollten, verließen wir das Dead Rabbit nach etwa zwei Stunden wieder und erkundeten noch eine Weile die nächtliche Wallstreet, die von dort aus fußläufig bequem zu erreichen ist.
(Bildquelle: http://www.deadrabbitnyc.com)